Liebe ist ein Kleid aus Feuer
stehen, hatte ihn in der Tat träge werden lassen. Doch Trägheit durfte es in seinem Leben nicht geben, war nichts, was einer wie er sich leisten konnte. Der König hatte ihn nach seiner Rückkehr nicht rufen lassen, was ihn bitter enttäuschte, aber Otto hatte wenigstens den Pater zu ihm geschickt. Der Strick entschloss sich, das Auftauchen des roten Mönchs als verheißungsvolles Zeichen zu werten. Es würde eine Zukunft geben, das war mehr, als er insgeheim schon befürchtet hatte.
»Das wird nicht gehen«, sagte Pater Johannes.
»Und weshalb nicht?«, fragte der Strick angriffslustig. »Rochus hat dir und mir schon manch nützlichen Dienst erwiesen, falls du dich freundlicherweise daran erinnerst.«
»Weil ich ihn anderweitig brauche. Es wird Zeit, den endgültigen Fall Raymonds einzuleiten. Rochus soll mir diese Leute aus Lotharingen herbringen, seine Frau und den Sohn. Ich will sie vor den König zitieren.«
»So sehr hasst du ihn?«, fragte der Strick.
Etwas Heißes wallte in ihm auf, die Erinnerung an etwas, das er am liebsten für immer vergessen hätte. Schon seit Tagen war ihm nicht ganz wohl, mal fror er, dann wieder überkamen ihn fiebrige Hitzen, doch er hatte frühzeitig lernen müssen, mit sehr viel übleren Beschwerden umzugehen. Lag es womöglich daran, dass der Tag der Abrechnung mit Raymond immer näher rückte? Er wollte sie, die lang ersehnte Rache, er hatte lange genug von ihr geträumt, doch in gewisser Weise empfand er nun beinahe Scheu davor. Damals hatte ein großer Brand das Leben mehrerer Menschen vernichtet. War die Kraft der unheilvollen Flammen bis heute lebendig geblieben?
»Und du?« Die hellen Augen des Mönchs funkelten. Er hatte den Kampf aufgenommen, das konnte der Strick spüren. »Wie sehr hasst du ihn eigentlich?«
JUNI 952
KLOSTER CORVEY
Der Fuß war beinahe vollendet. Ein geschmiedetes Silberband zum Rund zusammengefügt, die Enden angepasst und in der Esse mit Silberlot zusammengelötet. Später weiteten sie den unteren Rand des Fußes über dem Amboss etwas aus, damit eine konische Form entstand. Es war einer der Tage, an denen Bruder Lukas Landos außergewöhnliche Geschicklichkeit wieder einmal in größtes Erstaunen versetzte. Für den jungen Mann schienen Silber und Gold, schien jedes Metall, das er berührte, kein kaltes und totes Material zu sein. Sobald er es formte, wurde es lebendig.
Lando reagierte überrascht, als er ihn darauf ansprach.
»Natürlich leben Gold und Silber, wenngleich auf andere Weise als ein Baum, ein Tier oder gar ein Mensch. Was tot ist, könnte sich doch nicht verändern«, sagte er, ohne das Feilen zu unterbrechen, mit dem er die Ränder begradigte, damit der obere Kelchaufsatz angepasst werden konnte. »Feuer und Hammer verändern nun mal Metall, bringen erst seinen wahren Charakter hervor.«
Die Ausarbeitung des Kelchs hatte Bruder Lukas zunächst nicht aus der Hand geben wollen. Unzählige Skizzen hatte es gebraucht, bis nach und nach eine Form in seinem Kopf entstanden war, einfach und doch sakral, außergewöhnlich und doch so, dass ein jeder sie verstehen konnte. Vielleicht waren es sogar die Worte von Pater Johannes gewesen, die letztlich den Ausschlag gegeben hatten: »ein Reliquiar für die Sonne seines Lebens.«
Bei diesen Worten hatte sich jedoch gleichzeitig etwas tief in Bruder Lukas empört: Mochte der König seine schöne junge Frau auch noch so lieben, mochte sie ihm sogar einen neuen Sohn schenken – die Zunge des Täufers war nichts, was sich als Morgengabe eignete, auch nicht im herrlichsten Reliquiar. Sie allein hatte den Herrn erkannt und gesegnet, dieses Bewusstsein war stets in Bruder Lukas lebendig.
Er hütete sich, den anderen Brüdern seine Bedenken mitzuteilen; die meisten von ihnen hätten sicherlich nicht verstanden, was er damit meinte. Nicht einmal Abt Wulfilus erschien ihm dafür geeignet. Auch Lando gegenüber verriet er nichts davon. Nur den Mann mit der hässlichen Narbe am Hals, der den Pater begleitet hatte, als dieser das Reliquiar brachte, und der noch immer bei ihnen war, weil ein böses Fieber ihn gleich nach seiner Ankunft niedergestreckt hatte, weihte er eines Tages ein.
»Ich gebe dir durchaus Recht.« Der Strick richtete sich mühsam auf. Mager sah er aus, ausgezehrt, vor der Zeit gealtert, obwohl Bertram, der Infirmar von Corvey, sich seit Wochen alle Mühe mit ihm gab, ihm zahlreiche Tränke gebraut und nun sogar angeordnet hatte, dass er zusätzlich kräftigende Nahrung erhalten
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