Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Schleier ablegen sollen? Sie war viel zu aufgeregt gewesen, um an so etwas zu denken.
»Nein«, sagte Eila. »Schon lange nicht mehr. Ich bin nur vorübergehend ins Stift zurückgekehrt, vor allem, um zu erfahren, wo du bist.«
»Hier«, sagte er. »Jetzt bin ich hier.«
Womit sollte sie anfangen? Alles in ihrem Kopf hatte sich zu einem riesigen unordentlichen Gewirr verknäult. Schließlich sagte sie, was ihr gerade in den Sinn kam: »Ich hab nach dir gesucht. Unendlich lange. Ich wusste nicht, wo du bist, und niemand wollte es mir sagen …«
Sein Gesicht verschloss sich.
Hatte sie mit dem Falschen begonnen? Und was sollte sie besser noch alles unerwähnt lassen?
»Ich hab von dir geträumt«, sagte Lando nach einer kleinen Weile und sah dabei wieder friedlicher aus.
»Ich auch. Viele, viele Male!«
Er streckte die Hand aus, ihre Finger berührten sich, verschlangen sich ineinander.
»Du trägst ihn noch immer«, sagte Lando. »Meinen Ring!« Er drehte die Hände, damit er ihn begutachten konnte. »Schön geworden ist er ja nicht gerade. Dieses plumpe, hässliche Eisen! Aber damals wusste ich es noch nicht besser.«
»Für mich ist er schön«, widersprach Eila. »Ich hab ihn niemals abgelegt. Keinen Tag, keine Stunde. Genau so, wie ich es dir damals versprochen habe, auch wenn du es nicht mehr hören konntest.«
»Ich fühle mich wieder einigermaßen gesund«, sagte er. »Aber ich war lange sehr krank. Sie haben dir davon erzählt?«
»Rose«, sagte Eila. »Ja, Rose hat mir alles erzählt. Wie sie dich vom Rammelsberg geholt und zunächst in das Stift gebracht hat und schließlich hierher.«
Abrupt ließ er ihre Hand los. Schon wieder lauter gefährliche Bereiche, die sie nicht berühren durfte? Sah er sie denn überhaupt? Er stand nah vor ihr, und doch hatte Eila das Gefühl, als habe er sich bei ihren letzten Worten unmerklich entfernt.
»Du hast mir so gefehlt«, flüsterte sie und kämpfte gegen das schreckliche Gefühl der Leere an, das sich mehr und mehr in ihr ausdehnen wollte. »Tagsüber. Nachts. Im Wachen. Im Schlafen. Bei jedem Atemzug. Je ferner ich dir war, desto stärker hab ich dich in meinem Herzen gespürt.«
Jetzt hatte sie ihn erreicht. Endlich ging sein Blick nicht mehr ziellos durch sie hindurch.
»Darf ich dein Haar sehen?«, fragte er nach einem kleinen Räuspern.
Eila zögerte kurz, dann löste sie den Schleier. Sie spürte sein Erschrecken, noch bevor er einen Ton gesagt hatte.
»Es ist schon nachgewachsen«, sagte sie schnell. »Und es wird weiter wachsen. Ich hab es für die Königin...« Sie hielt inne. »Lando!«, sagte sie. »Was hast du denn auf einmal?«
Alles Leben schien aus seinem Gesicht gewichen. Die Lippen waren blutleer.
»Reusin!«, stieß er hervor. »Die schwarze Reusin! Sie hat ihr Haar geopfert und trauert noch immer, aber Jon ist doch tot … tot und begraben …«
»Wer ist Reusin?«, fragte Eila.
»Seine Braut! Der Berg wollte mich fressen, weil Jon tot war, aber ich hab mich dagegen gewehrt. Ich wollte nicht sterben. Ich durfte doch nicht sterben. Nicht, bevor ich dich wiedergesehen habe.«
Er sah so angstvoll dabei aus, so verwirrt, dass die Leere in Eila schierer Verzweiflung wich. Wie sollte sie ihn jemals wieder verstehen lernen? Sie wusste ja nichts von alledem, was ihm zugestoßen war!
Stumm standen sie sich gegenüber, fast feindselig in ihrer Fremdheit.
Irgendwann spürte Eila eine warme Hand auf ihrer Schulter.
»Lass es gut sein für heute!«, sagte Bruder Lukas. »So ist er manchmal, wenn zu viel auf einmal auf ihn einstürmt. Versuch es lieber später noch einmal, morgen, übermorgen!«
Tatenlos musste Eila zusehen, wie Lando mit hängenden Schultern davonschlurfte, als sei sie gar nicht mehr vorhanden.
»Hast du eine Vorstellung«, sagte sie zu dem Mönch, »wie lange ich auf diesen Augenblick warten musste?«
»Dann spielen ein paar weitere Tage doch keine Rolle mehr, oder?«
»Wer bist du überhaupt?«, fragte Eila.
»Bruder Lukas. Ich mache aus deinem Lando gerade einen Silberschmied. Und du musst Eila sein.«
»Woher willst du das wissen?« Misstrauisch starrte sie ihn an.
Der Mönch lächelte. »Ich hab ihn deinen Namen im Schlaf sagen hören, immer wieder. Es klang wie ein Gebet, wie eine inbrünstige Anrufung. Lando hat dich nicht vergessen. Er muss sich nur erst wieder selber finden.«
»Aber wo geht er denn jetzt bloß hin?«, fragte Eila hilflos.
»Ins Taubenhaus«, sagte Bruder Lukas. »Dorthin, wo er sich am
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