Liebe ist ein Kleid aus Feuer
hörte Fetzen des Liebesgestammels, das nicht für fremde Ohren bestimmt war.
Etwas traf ihn vollkommen unvorbereitet, drang wie ein scharfer Pfeil durch den dicken Panzer, den er sich im Lauf der Zeit notgedrungen zugelegt hatte. Ayana – so hatte der Name des Mädchens gelautet, das er geliebt hatte, als er noch einen Namen und eine Zukunft gehabt hatte. Jahrelang hatte er jede Erinnerung an Ayana erfolgreich vermieden, jetzt aber stiegen die alten Bilder und Gefühle wieder in ihm empor. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war ihr halb fassungsloser, halb angewiderter Blick gewesen, als man ihm den Hanfstrick um den Hals gelegt hatte. Nachdem der Galgen ihn abgeworfen hatte, war sie spurlos verschwunden. Seitdem hatte er sie nicht wieder gesehen.
Die beiden im Gras hatten ihn noch immer nicht bemerkt, so vertieft waren sie in ihr Kosen und Küssen, und die Wehmut, die der Strick eben noch empfunden hatte, wich immer mehr Neid und Hass. Wieso sollten die ungestört genießen, was ihm niemals mehr zuteil werden würde – Liebe, Glück, vielleicht sogar Kinder?
Der Strick trat weiter zurück in den Schutz der alten Bäume. War das ein Zeichen?, überlegte er. Ein direkter Hinweis darauf, wie er vorgehen sollte? Gott war schon einmal sehr gnädig mit ihm gewesen, auch wenn es ihn große Opfer gekostet hatte. Bot ER ihm gerade eine neue, eine noch bessere Chance, endlich zu seinem Recht zu kommen und die alte Schande ein für alle Mal abzustreifen?
Während die Dunkelheit ihn verschlang, keimte eine Idee in ihm, die seine Miene zu einem hässlichen Lächeln gerinnen ließ. Oda war bereits sein Opfer gewesen, und es hatte gut getan, ihr beim Sturz ins Bodenlose zuzusehen. Danach hatten seine Rachepläne sich vor allem auf Raymond konzentriert.
Doch wodurch könnte man einen Vater endgültiger treffen als durch das Leid seiner Tochter?
Eila spürte zunächst die neue, warme Feuchtigkeit, die ihr Unterkleid benetzte, dann erst begriff sie, was geschehen sein musste.
»Ich bin so ungeschickt, verzeih!« Lando barg seinen Kopf an ihrer Schulter. »Ein Tölpel, der gar nichts weiß! Aber du bist so schön – und ich war doch so lange einsam. Nichts als meine Hände hatte ich …«
»… deine wundervollen Hände, die dich noch weit bringen werden!«, versetzte sie spielerisch.
»Du machst dich doch nicht etwa lustig über mich, Eila?«
»Scht!« Mit einem Kuss brachte sie ihn zum Schweigen. »Natürlich nicht. Und als ob das von eben jetzt wichtig wäre! Wir haben alle Zeit der Welt, weißt du das nicht? Beim nächsten Mal sind wir weniger aufgeregt, alle beide.«
»Beim nächsten Mal?« Er klang noch nicht ganz überzeugt.
»Ja, denkst du vielleicht, ich würde dich jetzt noch einmal verlassen, nachdem ich alles unternommen habe, um dich ausfindig zu machen?«
Lando lachte, aber es klang nicht besonders fröhlich.
»Du reitest morgen wieder davon«, sagte er. »Daran denke ich. Und das macht mich traurig.«
»Aber doch nicht für lange Zeit! Ich muss einiges ins Reine bringen, mit meinem Vater sprechen und ihn davon überzeugen, dass wir für immer zusammengehören. Dann komme ich zurück.«
»Wie willst du das anstellen? Der Graf war schon einmal dagegen!«
»Das lass nur meine Sorge sein!«, sagte sie. »Seitdem ist so vieles geschehen. Wir haben uns alle verändert – auch er. Dieses Mal wird der graue Wolf niemanden wegschicken, weder dich noch mich.«
»Und wenn du mich dann hier nicht mehr antriffst?« Eila setzte sich überrascht auf.
»Ich dachte, du fühlst dich wohl hier.«
»Tue ich ja auch. Aber Lukas und ich sollen doch nach Augsburg reiten«, sagte er. »Mit dem neuen Reliquiar im Gepäck, der Morgengabe für die Königin. Mitte August müssen wir dort sein, weil dann der große Reichstag beginnt. Ich hätte es dir noch gern gezeigt. Ich glaube, es ist sehr schön geworden.«
»Dann werde ich auch nach Augsburg kommen.« Eila klang entschlossen, obwohl sie noch nicht wusste, wie sie das bewerkstelligen sollte. »Spätestens Mitte August sehen wir uns also wieder.«
»Heißt das, dass du jetzt gleich gehen musst – auf der Stelle?« Sehnsüchtig hatte Lando sie zurück in seine Arme gezogen. Seine Küsse waren stürmisch und süß zugleich, und sie gab ihm ebenso leidenschaftlich zurück, was er ihr schenkte.
»Nein«, sagte Eila, als sie wieder halbwegs Luft bekam. »Das heißt es nicht.«
JULI 952
STIFT GANDERSHEIM
Almut führte Raymond ins Scriptorium, dann ließ sie ihn mit
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