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Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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diesem Augenblick war er versucht, sich solcher Meinung anzuschließen.
    »Ich gehe, Oda«, sagte er. »Du wirst dich nicht mehr zu beklagen haben.«
    Vor der Tür in der Dunkelheit hämmerte sein Herz heftig. Die alten Bilder stiegen in ihm auf, und er fühlte sich zu schwach, um sie abzuwehren, wie es ihm für gewöhnlich gelang. Eine schwarzhaarige Frau, die morgens ungläubig erwachte und das Lager neben sich leer fand … ein kleiner Junge, der weinend die Arme ins Leere streckte …
    »Haut ab!«, flüsterte Raymond. »Was kann ich euch noch schuldig sein nach all den Jahren? Lasst mich in Ruhe – hab ich denn nicht schon genug bezahlt?«
    Unwillkürlich ging er weiter, bis er in der Halle angekommen war. Im Kamin glommen noch die letzten Scheite; immerhin war es hell genug, um sich nicht an den Möbeln zu stoßen, die im ungewissen Licht etwas Bedrohliches hatten. Als er sich in seinen Stuhl sinken lassen wollte, um vor der Glut wieder zur Ruhe zu kommen, fand er ihn bereits besetzt.
    »Wieso schläfst du nicht?«, sagte er zu dem Mädchen, das sich dort geschmeidig wie eine Katze eingekringelt hatte. »Du wirst wieder krank werden in deinem dünnen Hemd!«
    »Du bist ja auch noch wach«, erwiderte Rose. »Und besonders viel an hast du auch nicht gerade.«
    Er musste lächeln. Bernhards Tochter war offenbar nie um eine Antwort verlegen, das gefiel ihm. Außerdem hatte Eila sich verändert, seit sie Rose als Gefährtin hatte. Sie erschien ihm fröhlicher und so ausgeglichen wie selten zuvor. Er wusste nicht, was sich auf Bernhards Burg abgespielt hatte, aber von ihm aus konnte die Kleine bleiben, so lange sie wollte. Das würde er seinem Waffenbruder in Quedlinburg sagen.
    »Du siehst traurig aus«, sagte Rose. »Hat sie dir wehgetan?«
    »Bevor sie das konnte, bin ich lieber gegangen.« Raymonds Stimme klang belegt. »Zu viele Tote in einem Raum. Da war kein Platz mehr für mich.«
    »Sie bleiben für immer bei uns, die Toten, nicht wahr?« Die altkluge Mädchenstimme hatte einen seltsamen Unterton. »Sie verlassen uns niemals. Und ansteckend ist der Tod auch. Denn wenn jemand stirbt, den man lieb hat, dann möchte man selber am liebsten auch tot sein.«
    »Sie verlassen uns nicht, solange wir sie lieben«, hörte Raymond sich zu seiner eigenen Überraschung antworten. »Und manchmal nicht einmal, wenn wir sie zu Lebzeiten von ganzem Herzen gehasst haben.« Er legte ein paar neue Scheite auf, und das Feuer flackerte höher. »Du sprichst von deiner Mutter, Rose? Du vermisst sie?«
    Ihr Kopf flog nach oben. Er sah, wie sie den kleinen Silbermond auf ihrer Brust betastete.
    »Ist das von ihr?«, fragte er.
    Das Mädchen erschrak. »Ich darf es niemandem zeigen, hat sie gesagt. Sonst halten mich alle für eine Heidin.«
    »Ich weiß, dass du ein frommes Christenkind bist«, sagte Raymond. »Und ich denke, sie ist es schließlich auch geworden.«
    »Du hast sie gekannt?«
    »Gesehen hab ich sie ein paarmal, aber das ist lange her.«
    »Wie war sie?« Jetzt begann Roses Stimme leicht zu zittern. »Erzähl mir von ihr – alles!«
    »Erinnerst du dich denn nicht mehr an sie?«
    »Manchmal sehe ich ihr Gesicht ganz klar vor mir, aber dann zerfällt es und verschwindet. Aber ich weiß noch genau, wie sie gerochen hat, und ich kann manchmal ihre Stimme hören.«
    »Ja, sie war etwas Besonderes! Schwierig zu beschreiben, wenn du mich so fragst. Man konnte sie schon spüren, noch bevor man sie richtig sah. Du hast übrigens große Ähnlichkeit mit ihr.«
    »Als sie starb und ihr Arm schließlich herabsank, da geschah es ganz leicht«, sagte Rose, leise, gleichsam im Selbstgespräch. »Wie wenn Vögel im Morgennebel auf einem Teich landen. Alles war still. Nicht einmal die Sterne haben noch geatmet. Dann war sie fort.«
    Raymond hörte zu. Stundenlang hätte er dem Kind so zuhören können.
    »Vater war erleichtert. Er hat sich zwar Mühe gegeben, es mir nicht zu zeigen, aber ich hab es trotzdem gespürt. Am besten sollte man gar nicht mehr über sie reden, so als hätte es sie niemals gegeben.«
    Sie sah ihn offen an.
    »Weshalb, Raymond? Hat er sie denn nicht geliebt? Tausendmal hab ich den lieben Gott um eine Antwort gebeten, aber er hat nicht auf meine Bitten gehört.«
    »Wie könnte dann ich deine Frage beantworten?« Raymond fühlte sich elend. Er wich ihr aus. Das hatte sie nicht verdient. Aber wäre es klug gewesen, sich in Bernhards innerste Angelegenheiten einzumischen? Sein Waffenbruder hatte sich für den

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