Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
der Pfalz, die zu Fuß zum Galgenberg gekommen waren und respektvoll Abstand zur Hofgesellschaft hielten. Es dauerte, bis die Ersten zu reden begannen.
    »Früher hat man gesagt, der Donnergott hole um Mitternacht alle Gehängten. Meine Großmutter hat immer davon erzählt, als ich noch ein Kind war.«
    »Bist du wohl still? Man könnte dich für einen Heiden halten, wenn du so daherredest!«
    Ein Mann fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als könne er damit das Gesehene auslöschen; eine Frau drückte ihren kleinen Jungen fest an sich. Aber es wurden auch andere Stimmen laut, höhnische, die den Toten verspotteten.
    »Künftig kann er kein Vieh mehr stehlen und auch kein Silber mehr«, sagte ein feister Mann. »Der Schurke hat endlich bekommen, was er verdient hat.«
    Der König erhob sich.
    »Es wird kalt. Lasst uns zurück zur Pfalz reiten!«
    »Gute Arbeit«, sagte eine forsche Männerstimme. »Da hat einer sein Handwerk verstanden. Grundsolider Hanf, nicht zu trocken, darauf möchte ich wetten. Je länger die Fasern, desto schwerer kann der Gehängte sein, je dünner, desto umbarmherziger stranguliert ihn das Seil.« Die dürre Gestalt kam den Männern, die Otto umringt hatten, immer näher, als sei die unsichtbare Linie, die sie vom Volk trennten, für ihn nicht vorhanden.
    »Aus dem Weg!« Ein aufbrausender junger Ritter aus Ottos Leibgarde hatte schon die Hand am Schwert. »Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast, Kreatur? Verschwinde, aber schnell! Sonst mach ich dir Beine!«
    »Gemach, gemach!« Der Strick reckte seinen dünnen Hals. Den blanken Schädel hatte er mit einem Filz bedeckt, den er nun ehrerbietig herunterriss. »Ich bin nur ein einfacher Mann, mein König.« Er fiel auf die Knie. »Doch dieser edle Ritter« – sein knochiger Finger wies auf Raymond von Scharzfels – »wird dir bestätigen, dass ich nur in der allerbesten Absicht vor dich trete.«
    »Du kennst ihn, Raimund?« Die Überraschung war Ottos Stimme anzuhören. »Einer deiner Leute?«
    »Nein«, sagten der Strick und Raymond wie aus einem Mund.
    »Wir kennen uns seit Jahren«, fügte der Strick rasch hinzu. »Ich bitte dich, hör mich an! Du wirst es nicht bereuen – frag nur den Ritter!«
    »Raimund?« Die königliche Stimme hatte deutlich an Schärfe gewonnen.
    »Ja, ich kenne ihn«, räumte Raymond widerwillig ein.
    »Da siehst du es, mein König«, rief der Strick, immer noch kniend. »Kennt mich so lange – und hat es doch bis heute fertig gebracht, mich von dir fern zu halten. Dabei hab ich dir etwas zu offerieren, was dich erfreuen wird, wenn du mir diese Offenheit gestattest.«
    »Was sollte das sein?«, fragte der König, während Raymond immer unglücklicher dreinschaute.
    »Nur unter vier Augen.« Der Strick begann verschmitzt zu zwinkern. »Du wirst mich verstehen, wenn du mein kleines Geheimnis erst einmal kennst.«
    »Ausgeschlossen!«, rief Pater Johannes, der den Wortwechsel mit größtem Misstrauen verfolgt hatte. »Du musst an deine Sicherheit denken, Sire! Dieser Mann kann ein gedungener Mörder sein …«
    Langsam zog der Strick das Tuch vom Hals, das seinen hässlichen Wulst bisher verborgen hatte.
    »Meine Begegnung mit dem Seil der Gerechtigkeit hätte inniger nicht sein können«, sagte er. »Man hat mich aufgeknüpft, vor vielen Jahren, ebenso wie diesen Unglücklichen da, ich hing und hing und hörte schon das gewaltige Flügelrauschen der himmlischen Heerscharen in meinen Ohren dröhnen, als irgendwann der Hanf riss und ich mehr tot als lebendig am Boden lag.«
    Ein Raunen ging durch die umstehenden Männer. Einige wichen erschrocken, andere eher angewidert zurück.
    »Ein Gottesurteil.« Der Strick hatte sein Publikum offenbar gefunden, denn es gab keinen, der ihn jetzt nicht angestarrt hätte. »Verkündet im allerletzten Augenblick. Denn ich war unschuldig, wie sich herausstellte. Seitdem leb ich mit diesem Zeichen der Demut«, er senkte den Blick, »und hab mein ganzes Dasein tiefster Frömmigkeit verschrieben.«
    Er äugte schräg nach oben. Otto schien noch immer reichlich unbeeindruckt.
    »Reliquien«, zischte der Strick so leise, dass keiner der Umstehenden es hören konnte. »Noch deutlicher kann ich hier und jetzt nicht werden.«
    »Steh auf!«, sagte Otto. »Du hast ein Pferd?«
    Der Strick nickte und deutete auf einen alten Wallach, dessen Anblick Raymond augenblicklich noch wütender werden ließ.
    »Du kannst uns in die Pfalz begleiten«, fuhr der König fort. »Nach der Abendandacht

Weitere Kostenlose Bücher