Liebe ist ein Kleid aus Feuer
gehen«, sagte er. »Ich muss allein mit dir reden.«
»Das wirst du nicht«, begann Malin zu keifen. »Reicht es nicht, was du und deinesgleichen hier angerichtet haben? Mein armes Täubchen …«
»Warte draußen!«, sagte Oda zu ihr und schlang ein großes Tuch über ihr Unterkleid. »Aber rühr dich nicht von der Tür weg!«
Schnaubend verließ Malin den Raum.
»Zwei Pferde«, sagte der Strick, »dazu Zaumzeug und Sättel. Gib deinen Leuten Anweisung, es für mich herzurichten!«
Oda sah ihn finster an.
»Etwas Silber zusätzlich könnte auch nicht schaden. Ja, das alles ist nötig, um deinen vergesslichen Gatten an ein Versprechen zu erinnern, das er mir gegeben hat, wenn du es genau wissen willst.« Er bleckte die gelben Zähne. »Da Raymond offenbar nicht vorhat, es einzuhalten, muss ich es einfordern kommen. Dir ist nicht zufällig bekannt, wo er sich zurzeit aufhält?«
»Er ist auf dem Feldzug nach Franzien …«
»Und wie man hört, haben König Ottos Ritter den aufsässigen Hugo dort erfolgreich in seine Schranken verwiesen. Sie müssen längst auf dem Rückweg sein. In welchen Pfalzen werden sie unterwegs Halt machen?«
»Selbst wenn ich es wüste, dir würde ich es gewiss nicht sagen.«
»Da irrst du dich«, sagte der Strick.
»Nicht nach dem, was ihr mir angetan habt.« Jetzt wurde sie laut. »Hau ab, und lass dich hier nie wieder blicken, wenn dir dein Leben etwas wert ist!«
»Mein Leben?« Er begann schallend zu lachen. »Was weißt du denn schon von meinem Leben?« Er packte ihre Handgelenke und hielt sie fest umklammert. »Falls du damit allerdings auf Ragna anspielen willst und auf ihre treuen Dienste …«
»Ohne sie wäre mein Kleiner noch am Leben. Ich will diesen Namen nie wieder hören!«
»…so gibt es keinen Vorwurf, den du gegen sie erheben kannst, nicht den geringsten. Denn deine Hände waren es, die den kleinen Johannes getötet haben, nicht ihre.« Er wiegte gedankenverloren den Kopf. »Was meinst du: Soll ich Raymond gleich davon berichten, wenn ich ihn unterwegs treffe? Oder lieber etwas später?«
»Du musst wahnsinnig sein, so etwas in den Mund zu nehmen!«
»Ich war niemals klarer bei Verstand. Und spar dir alles Leugnen, Oda! Ich weiß, was ich weiß. Schon sehr bald werde ich damit nicht mehr allein sein.«
»Das würdest du nicht wagen!« Odas helle Augen schienen Funken zu sprühen.
»Du kennst mich«, sagte der Strick. »Und du kennst deinen Raymond. Wie er wohl reagieren wird?«
»Gar nicht, denn du wirst ihm nichts sagen, weder jetzt noch später!«
»Das kommt ganz darauf an, schöne Dame.« Der Strick klang auf einmal geradezu aufgekratzt. »Und liegt allein in deinen zarten Händen. Gestern habt ihr euren üppigen Zehnten eingefahren; heute ist die Zeit meiner bescheidenen Ernte angebrochen. Lass uns zunächst mit zwei Pferden und etwas Silber anfangen! Was sich danach ergibt, wird die Zeit erweisen.«
NOVEMBER 946
AACHEN, AM GALGENBERG
Es wurde still, als der Scharfrichter dem Verurteilten die Schlinge um den Hals legte und langsam vom Schemel herunterstieg. Nur der Wind war noch zu hören, eine starke Brise aus Nordost, bissig und kalt, die den Rest der bunten Blätter von den Bäumen fegte. Der Henker, dessen Mantel auf der einen Seite rot, auf der anderen grün gefärbt war, schaute zum König. Seine Körperhaltung verriet, wie unsicher dessen Gegenwart ihn machte.
Ottos Miene blieb regungslos. Auch wer ihn gut kannte, hätte nicht sagen können, was in ihm vorging. Aufrecht saß er auf dem Lederschemel, den man eigens zu diesem Zweck auf den Hügel getragen hatte, die Beine leicht gekreuzt, die Hände locker im Schoß. Der Wind hatte sein schütteres Haar zerzaust und zerrte an seinem Mantel, aber es schien ihn nicht zu kümmern.
Plötzlich atmete er heftig aus, dann nickte er knapp.
Der Henker versetzte dem Schemel einen Tritt. Der Mann stürzte in die Schlinge, zuckte mit den Beinen, besudelte sich. Eine schier endlose Weile schien zu vergehen, bis er sich nicht mehr regte, sondern nur noch wie ein Kleiderbündel im Wind baumelte. Jetzt konnten Regen und Sturm, vor allem jedoch die Scharen schwarzer Raben, die bereits ungeduldig in den benachbarten Baumwipfeln warteten, das Werk vollenden, bis man schließlich das, was dann von ihm übrig geblieben war, unter dem Galgen verscharren würde.
Alle standen noch im Banne des Todes, als der Scharfrichter seine Kapuze herunterzog, Ritter und Kriegsknechte ebenso wie die Handwerker und Bauern
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