Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Silbersporen besaß sie, und heute hatte sie sie zum ersten Mal angelegt. Glücklicherweise hatte sie aufgehört zu wachsen, denn sie war schon jetzt ein gutes Stück größer als die meisten anderen Frauen, und Männer mochten es nun mal nicht, wenn sie zu einem weiblichen Wesen aufsehen mussten.
Ihr Blick flog zurück zu Bodo. Er folgte ihr – wie sollte es seit dem Überfall im Sommer auch anders sein? – auf einer hellen Stute, aber in gebührendem Abstand, als spüre er genau, dass sie jetzt Raum für sich allein brauchte.
»Ich geh zugrunde, wenn ich nicht endlich hier raus darf!« Mit diesem Ausbruch hatte sie vorhin alle erschreckt: Rose, Bruder Rochus und auch Gunna, was ihr inzwischen schon wieder halb Leid tat. Aber sie konnte es einfach nicht ertragen, ständig eingesperrt zu sein, hatte Feder und Pergamente in einem hitzigen Wutanfall zu Boden geworfen und sich geweigert, auch nur noch ein einziges lateinisches Verbum zu lernen.
Die untergehende Sonne blendete Eila, obwohl es noch nicht spät war, ein unübersehbarer Fingerzeig auf die langen dunklen Abende, die nun vor ihnen lagen, bis es im nächsten Lenz endlich wieder warm und hell werden würde. Wie sie diese Zeit ohne den Vater überstehen sollte, wusste Eila noch nicht. Da half es nicht einmal, dass Lando zaghafte Versuche unternahm, den Graben zu überwinden, der sich seit dem Überfall der Steppenreiter zwischen ihnen aufgetan hatte. Sie wusste selber nicht genau, was sie eigentlich daran hinderte, ein Stückchen auf ihn zuzugehen. Vielleicht lag es daran, dass sie ständig irgendwelche Blicke zwischen den Schulterblättern zu spüren glaubte, wenn sie nur ein paar Worte mit ihm wechselte. All die freudige Aufregung, die sie im Sommer bei seinem Anblick verspürt hatte, schien verflogen. Jetzt fand sie es peinlich, wenn er errötend vor sich hin druckste, sobald sie in seine Nähe kam, weil sie dies selber nur noch unsicherer werden ließ.
Ich möchte endlich erwachsen sein, dachte sie, während sie Paulas Hals streichelte. Endlich über all die wichtigen Dinge Bescheid wissen, die man im Leben braucht – und das sind garantiert nicht nur lateinische Verse und langweilige Zahlenkunststücke! Die alte Stute schien den Ausritt ebenso zu genießen wie sie, und obwohl sie Bodo versprochen hatte, nicht zu galoppieren, gab sie dem Pferd nun doch die Sporen.
Sie jagten über den unebenen Boden, und Eila hätte am liebsten laut aufgejauchzt. Sie tat es nicht, weil sie nicht kindisch wirken wollte, sondern jubelte nur innerlich, unhörbar.
Bodo hinter ihnen schien etwas zu rufen, aber Eila kümmerte sich nicht darum. Sollte er doch zusehen, wo er blieb, Paula und sie waren am Fliegen und nicht gewillt, sich aufhalten zu lassen. Die frische Luft streifte Eilas Wangen wie eine zärtliche Berührung, der Wind fuhr in ihre Kapuze und riss sie ihr schließlich vom Kopf, sodass die Haare wie ein leuchtender Schweif hinter ihr herflatterten.
Viel zu spät entdeckte sie die beiden Reiter, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten. Der eine im grauen Wolfsfell, der Belle ritt, ließ ihr Herz sofort schneller schlagen. Der andere war jung, stattlich und blond, und sein Haar leuchtete im tiefen Sonnenlicht wie eine Aureole auf.
Michael, dachte sie für einen Augenblick. Der Erzengel aus der kleinen Dorfkirche, heruntergestiegen von seinem Sockel, um mir in Fleisch und Blut zu begegnen.
»Herr, Herr!« Jetzt verstand sie endlich, was Bodo die ganze Zeit gerufen hatte, und sie brachte Paula mit einem Schnalzen zum Stehen.
»Was für eine Begrüßung!«, sagte Raymond lächelnd. »Sie hätte schöner nicht ausfallen können.«
Er sah müde aus, war dünn und grau, und bei einer anderen Gelegenheit hätte Eila sich sofort um ihn gesorgt. Doch dazu blieb ihr jetzt keine Zeit, denn sie spürte, dass der Blonde neben ihm sie anstarrte wie eine Erscheinung. Aus der Nähe war er noch jünger, als sie zunächst gedacht hatte, und seine Züge erschienen ihr weniger fein als die des Erzengels, und dennoch spürte sie das Blut in ihre Wangen steigen, heftiger, als es der schnellste Galoppritt vermocht hätte.
»Sigmar, das ist meine Tochter Eila«, sagte Raymond, »und das mein Kämmerer Bodo. Das hier ist Sigmar Billung, mein neuer Knappe.«
Mit einer kurzen Handbewegung hinderte er Bodo an weiteren Ehrbezeugungen.
»Lasst uns nach Hause reiten!«, sagte er. »Ein warmes Feuer und ein heißer Becher Wein werden uns allen jetzt gut tun.«
»Und du bleibst jetzt
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