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Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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einzig und allein auf das Jesuskind konzentriert, das ihre übergroßen Hände von beiden Seiten schützend hielten.
    Sie schaute sich noch einmal um, vorsichtshalber, ob sie auch wirklich allein war, dann kniete sie vor der Statue nieder und öffnete ihr Herz.
    Erst geschah nichts, eine ganze Zeit, und schon wollte sie die altbekannte Angst überfallen, sie sei selbst hier nicht willkommen. Dann jedoch rief sie sich in Erinnerung, was die Priorin gesagt hatte: Maria wache über das Stift, also auch über sie. Daran konnte sie sich immer halten.
    Ihr Atem wurde ruhiger, doch die rechte Sammlung wollte sich dennoch nicht einstellen. Etwas stach in ihr rechtes Knie, ein spitzer Stein, den sie von draußen an den Schuhen mit hereingebracht haben musste. Rose entfernte ihn, suchte eine günstigere Stellung und nahm erneut ihre demütige Haltung vor der Statue ein.
    Was muss ich tun, damit ich eine von ihnen werde?, fragte sie. Damit ich endlich ganz dazugehöre? Damit ich endlich weiß, wo ich zu Hause bin! So oft schon hab ich zu dir um eine Antwort gefleht, doch bislang hast du sie mir stets verweigert.
    Die Kerze links von der Madonna verlöschte. Ein Zeichen? Aber was sollte es bedeuten?
    Rose zögerte kurz, schüttelte dann jedoch den Kopf. Bihilit beschwor die frommen Frauen immer wieder, sich nicht im Aberglauben zu verlieren. Die Kerze war heruntergebrannt und musste erneuert werden. Das war das ganze Geheimnis.
    Rose erhob sich, ging zu dem Korb neben der Tür, nahm eine neue Kerze heraus und entzündete sie zur Rechten der Madonna.
    Sollte sie erneut auf die Knie fallen?
    Da sie am meisten die morgendlichen Andachten liebte, die die Kanonissinnen im Gehen abhielten, begann sie nun, große, gleichmäßige Kreise um die Gottesmutter zu ziehen. Sie versagte es sich, dabei ständig zu ihr aufzublicken.
    Maria sah sie , das war das Wichtigste. Sie war ihr Kind. Alle wahrhaft Gläubigen waren ihre Kinder.
    Das ruhige Gehen entspannte Rose. Sie spürte, wie das Gewicht auf den Schultern leichter wurde, das sie nun schon so lange mit sich herumtrug. Erneut begann sie zu zweifeln. Sollte sie ihr Innerstes wirklich nach außen kehren? Doch wenn sie jetzt nicht wahrhaftig war, vor dieser göttlichen Jungfrau, die sie zu ihrer neuen, ihrer wahren und ewigen Mutter erkoren hatte, wann dann?
    Sie blieb stehen.
    Ich schreibe nicht mehr, dachte sie, sondern führe lediglich aus, was man mir aufträgt. Ist es das, was du von mir verlangst? Das Opfer, das ich zu bringen habe, bevor du mich endlich erhörst? Jeden Anflug von Eigenwillen abzustreifen wie eine zu enge Haut – und nur noch zu gehorchen?
    Alles blieb still.
    Ein Zeichen!, betete sie stumm. Eine Antwort! Irgendetwas, damit ich weiß, du hast mich gehört.
    Jetzt flackerten beide Kerzen, als wollten sie im nächsten Moment ausgehen, und für einen Augenblick lag das Gesicht der Gottesmutter im Schatten.
    Rose wurde eigenartig zumute, sie begann zu taumeln und roch schon den vertrauten Duft, der immer alles ankündigte. Ein paar entsetzliche Lidschläge lang befürchtete sie, das große Fallen würde sie wieder überkommen. Sie hatte beinahe vergessen, wie vollständig es von ihr Besitz ergreifen konnte, so lange war sie gnädig verschont geblieben, als hätten die dicken, hohen Mauern des Stifts auch die verhasste Krankheit abwehren können.
    Dann war die Gefährdung vorüber.
    Die Kerzen brannten, heller sogar als zuvor, wenn sie sich nicht täuschte, und das Jesuskind saß auf dem Schoß seiner Mutter so sicher und stark wie auf einem Thron. Rose konnte den Blick nicht mehr lösen von dieser Einheit, die Mutter und Kind bildeten.
    Der harte Knoten in ihrer Brust begann zu schmelzen. Die ersten Tränen flossen. Und dann setzte es ein, jenes unheimliche Glühen, das sie zu verbrennen drohte.
    Sie riss ihr Kleid auf, starrte auf die blasse Haut.
    Die Lunula ruhte zwischen den spitzen kleinen Brüsten, die ihr inzwischen gewachsen waren, und plötzlich wusste Rose, was die Antwort war, um die sie gebetet hatte.
    Sie weinte stärker, als sie das mürbe gewordene Lederband zerriss und danach das Kleid wieder schloss. Jetzt lag die Lunula ganz friedlich in ihrer Hand, eine kleine silberne Sichel, scheinbar unschuldig und harmlos. Und doch war sie ein Heidenamulett, wenngleich das Einzige, was sie noch mit ihrer Vergangenheit verband. Mit der Frau, die sie geboren und geliebt hatte. Die sie in ihr dunkles Haar gewickelt und in den Schlaf gesungen hatte. Deren Namen sie

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