Liebe ist ein Kleid aus Feuer
nicht vergessen würde – niemals.
Aber es konnte nur eine Entscheidung geben, wenn sie sich nicht länger zwischen den verschiedenen Welten zerreißen lassen wollte. Noch einmal flog ihr Blick zur Madonna. Etwas schimmerte feucht auf deren linker Wange.
Teilte sie etwa ihre Tränen?
Jetzt wusste Rose, was es zu bedeuten hatte. Der Brunnen, dachte sie. Anfang und Quelle allen Lebens! Ihm muss ich zurückgeben, was sie mir einst geschenkt hat.
»Verzeih mir, Marja!«, flüsterte sie. »Und du, Maria, Mutter des Herrn und unser aller Mutter, vergib mir armen Sünderin!«
»Roswitha?« Sie zuckte zusammen, als sie Almuts hohe, leicht schleppende Stimme hörte. »Hier bist du, und ganz allein dazu! Ich hab schon überall nach dir gesucht.«
Die Tante musterte sie, als Rose vor ihr stand, und es war nicht einfach, ihrem prüfenden Blick standzuhalten.
»Du siehst so merkwürdig aus, Mädchen. Hast du geweint? Ist irgendetwas mit dir?«
»Nein.« Rose ballte heimlich die Hand mit dem Amulett zur Faust. »Nichts. Alles ist ganz genau so, wie es sein sollte.«
Eila war froh, dass die Angeln ihrer Zellentür frisch geölt waren. So konnte sie zwar fröstelnd, aber lautlos hinausgelangen. Ein Stück entfernt schickte ein brennender Kienspan in der Wandhalterung diffuses Licht über den Flur, doch zum Glück musste sie nicht weit gehen, dann war sie schon am Ziel angelangt.
Sie schlang das Wolltuch enger um sich und drückte die Klinke herunter.
»Wer ist da?« Roses Stimme klang wach. »Almut? Bist du das?«
»Ich bin es, Eila. Kannst du auch nicht schlafen, so mutterseelenallein bei dieser Kälte?«
»Dann komm!« Rose schlug die Decke zurück. »Sonst erfrierst du noch in deinem dünnen Hemd.«
Sie kuschelten sich aneinander, wie sie es früher immer getan hatten, und rieben sich gegenseitig die Füße, bis sie langsam warm wurden. Eila, die hinter Rose lang, schob deren Haar zur Seite, weil es sie in der Nase kitzelte, und musste angesichts der Fülle an die dunklen, unkleidsamen Stoppeln denken, mit denen die Freundin damals auf die Burg gekommen war. Beinahe hätte sie den weißen Nacken vor sich geküsst, so schutzlos erschien er ihr, aber es war auch so köstlich genug, die lang entbehrte Nähe zu spüren.
»Eigentlich ist es ja verboten«, sagte Rose. »Wir müssen allein liegen, jede für sich, und beten, bis wir einschlafen. Das haben sie uns immer wieder eingeschärft.«
»Wie denn, wenn einem vor Kälte die Zähne klappern! Außerdem wird uns niemand ertappen, wenn wir nur leise genug sind. Was soll schon falsch daran sein, sich gegenseitig zu wärmen?«
Eine Weile blieb es still. Sie hörten den Herbststurm um die Mauern pfeifen, und Eila dachte mit leisem Schauern, wie unerbittlich der Wind ihr morgen unter die Röcke fahren würde, wenn sie ihre Runde machte.
»Ich hab es verloren«, hörte sie Rose auf einmal sagen, so leise, dass sie sich anstrengen musste, um sie zu verstehen. »Es ist einfach weggegangen, jeden Tag ein bisschen mehr, bis es ganz verschwunden war. Es tut so weh, überhaupt darüber zu reden, aber gleichzeitig bin ich auch froh, dass ich es jemandem erzählen kann – endlich.«
»Was hast du verloren?«
»Das, was in mir war. Du weißt schon, all das, was ich mir früher ausgedacht und aufgeschrieben habe. Ich dachte immer, die Einfälle und Geschichten würden nur so sprudeln, wenn ich erst einmal hier lebe, aber das war ein Irrtum. Manchmal fühle ich mich innerlich so leer, dass ich nur noch weinen möchte.«
»Dabei schreibst du doch den ganzen Tag – und das auch noch auf Latein!«
»Ich kopiere lateinische Texte, das ist etwas vollkommen anderes. Das alles besteht bereits, verstehst du, Eila? Es muss nicht erst entstehen. Dabei kann ich jetzt viel besser Latein als früher – doch was nützt mir das? Ich begreife jedes Wort, das ich niederschreibe, bin aber nicht länger fähig, eigene Worte zu finden. Wenn ich abends aufhören muss, weil mir die Augen brennen, schmerzt mein rechter Arm, als hätte ich stundenlang Holz gehackt – und mein Herz ist ganz wund.«
»Vielleicht solltest du das zur Abwechslung einmal machen«, sagte Eila nachdenklich. »Holz hacken. Wäsche auskochen. Oder den Stall ausmisten. Ich kann dir auch Blasi überlassen, und du reitest einen ganzen Nachmittag mit ihm querfeldein. Irgendetwas jedenfalls, das garantiert nichts mit Tinte, Federn oder Folianten zu tun hat.«
Rose schien sie gar nicht zu hören. »All die Worte, die ich
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