Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Frischluftzufuhr und verhinderten ein Verlöschen der Flamme. Die Schlacke im unteren Teil hatte Lando zwischendrin immer wieder vorsichtig abgestochen, bis sich das Eisen gesammelt hatte.
Lando spürte, wie Aufregung seine Handflächen feucht werden ließ. So oft hatte er es schon erlebt, und dennoch war es jedes Mal wieder von neuem spannend, wenn die Schlacke herausfloss und die Grube unter dem Ofen füllte, während die wertvolle Luppe am Grund des Ofens zurückblieb, bevor sie diesen aufbrachen, um sie herauszuwuchten. Viele Vorarbeiten gehörten dazu, bis es endlich so weit war, und Lando hatte im Lauf der Zeit schon jede von ihnen unzählige Male verrichtet. Er konnte zwar nicht sehen, was im Inneren des Ofens geschah, weil die Lehmwände es vor seinen Augen verbargen, aber spüren konnte Lando es mit jeder Faser seines Körpers, beinahe, als ob der Berg plötzlich zu ihm spräche. Nichts war mit diesem Augenblick vergleichbar, in dem sich die Seele des Metalls ihm offenbarte.
Er wünschte nicht zum ersten Mal, der Vater wäre hier und er könnte seine Empfindungen mit ihm teilen. Manchmal redete er in Gedanken mit ihm, sagte ihm, dass er jetzt alles viel besser verstehe, was Algin ihm jemals über die Natur und Kraft des Eisens verraten habe. Doch machte ihn diese Erkenntnis erst recht traurig.
Seit er denken konnte, hatte für ihn festgestanden, dem Vater eines Tages als Schmied nachzufolgen und irgendwann all dessen Fertigkeiten zu beherrschen. Jetzt freilich war dieser Plan in schier unerreichbare Ferne gerückt und er stattdessen dazu verdammt, als namenloser Erzschmelzer fern von zu Hause zu vegetieren. Zudem hatte er Schande über seine Familie und sie in Gefahr gebracht und die drei Menschen, die er über alles liebte, wie ein Dieb im Morgengrauen verlassen müssen. Einzig und allein der Gnade des Grafen war es zu verdanken, dass er noch lebte. Kein Tag verging, an dem er nicht daran dachte.
Und Eila?
Inzwischen erschien sie ihm wie eine schöne, flüchtige Erinnerung, die der harte Alltag am Rammelsberg immer mehr verblassen ließ. Hatte er sie wirklich jemals in den Armen gehalten, ihren Atem gespürt, ihr Seufzen gehört? Es gab einen Nebel aus erinnerten Lauten und Gerüchen, der ihn noch immer schwindelig machen konnte. Und es gab Träume, wilde, bunte, in denen er wortlos in ihr versank, als gäbe es keinen Anfang, kein Ende, nur sie und ihn.
So vieles war seitdem geschehen, hatte ihn härter gemacht und einsam dazu, und wäre nicht der stumme Andres gewesen, dessen er sich angenommen hatte wie eines jüngeren Bruders, so wäre Lando am Alleinsein mehr als einmal verzweifelt. Beim letzten Johannisfest war er mit den anderen hinunter nach Goslar gegangen, und als es dunkel geworden war, hatte sich eine Frau gefunden, die für ihn die Röcke hob. Er wusste weder ihren Namen, noch konnte er im schwachen Licht des schwelenden Holzhaufens ihr Gesicht richtig erkennen. Aber sie war weich gewesen, warm und mütterlich, hatte ihn gehalten, während er sich weinend in ihr ergossen hatte, ihn gestreichelt, keine dummen Fragen gestellt. Seitdem war die Lust wieder in ihm erwacht, stellte sich zwar manchmal schläfrig und ließ sich dazu überreden, abzuwarten, war aber stets da, ein unaufhörliches Plätschern oder Fließen, das lauter wurde, je stiller es ringsumher war.
Lando spürte, wie ihn jemand am Arm zupfte. Andres hatte Eisen, Hammer und Schlegel geholt und deutete aufgeregt auf den Ofen.
»Hast ja Recht.« Lando nahm das Gezähe, wie die Bergleute ihr Werkzeug nannten, entgegen. »Träumen bringt uns nicht weiter, weder dich noch mich. Und die Luppe darf nicht zu stark auskühlen, sonst hämmern wir uns noch an ihr tot.«
NOVEMBER 950
GANDERSHEIM
Der Mantel der Gottesmutter war blau bemalt, trug blasse, goldene Lilien und ließ nur an den Knien das rote Kleid hervorschauen, das sie darunter trug. Rose wusste, dass er am Morgen milchig wirkte, wenn langsam die Dämmerung in die Kirche kroch, und dass er leuchten konnte wie die Blüten der Kornblumen, wenn die Mittagssonne auf ihn fiel. Jetzt, da draußen alles dunkel war und drinnen die Kerzen brannten, schimmerte er veilchenfarben. Er bedeckte Marias schmalen Kopf wie der Schleier, den auch die Kanonissinnen trugen, war jedoch an der Stirn mit einer breiten Goldborte geschmückt.
Das Antlitz war länglich, die Nase schmal, der Mund beherrscht. Es kostete Rose Mut, in dieses Gesicht zu schauen, das so ernst war, so gefasst, als sei es
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