Liebe ist stärker als der Tod
»Ich habe einen Geschmack wie ein Clochard.«
»Die Kleider sind sehr hübsch. Aber für das zweite möchte ich Jeans und einen Pullover haben.« Sie ging im Zimmer zweimal hin und her und drehte beim zweitenmal das Bild auf der Staffelei herum. Monkys nackter Körper leuchtete im Deckenlicht. »Oder sehen Sie in mir einen Typ, der nur in Kleidern herumlaufen kann?« Sie zeigte mit dem Daumen auf das Bild. »Hat sie nie Jeans getragen?«
»Muß das sein?« Er riß das Bild von der Staffelei und warf es in eine Ecke. »Monky hat schon alles getragen«, sagte er wie ein trotziger Junge. »Morgen verbrenne ich das Bild.«
»Warum? Ich finde es sehr schön.«
»Ich will gewisse Erinnerungen auslöschen … wie Sie.«
»Mit meinen Erinnerungen ist nicht viel anzufangen, Pierre. Sie würden kein Geld bringen, nur kosten. Aber Ihre Bilder, auch wenn sie Monky heißen … Ihre Erinnerungen sind Ihr Kapital, Pierre …«
»Ich werde etwas zu essen holen.« Das Gespräch begann wieder unangenehm zu werden. »Bitte, probieren Sie auch das zweite Kleid an, Ev. Es ist ganz anders …«
»Das Essen ist schon hier …« Sie zeigte auf den im Schatten stehenden Blechtisch mit dem kleinen Elektrokocher. »Madame hat alles herauf geschafft.«
»Dann hole ich Wein.«
»Auch Wein ist da. Im Waschbecken.« Sie zögerte, aber nur einen Augenblick lang, knöpfte dann das Kleid auf, zog es über den Kopf und holte aus der Tüte das andere Kleid. Pierre starrte sie an. Sie ging in Strümpfen, Höschen und BH hin und her, und sein Malerauge, nicht sein männliches Gefühl, sagte ihm, wie schön sie war.
Sie schlüpfte in das zweite Kleid, es war kürzer als das erste, umschloß ihren Körper mit einer zärtlichen Enge und strahlte im Licht der beiden nackten Birnen wie ein Stück abgesprengter Sonne. Eine Flamme in Orange.
»Das nehmen wir –«, sagte Pierre atemlos. »Ev … wenn Sie das umtauschen, zerhacke ich alle meine Bilder. Ich schwöre es Ihnen …«
»Die Kunst soll weiterleben.« Sie blickte an sich hinunter, strich mit den Händen über ihren Körper, vom Hals bis zu den Hüften, eine zärtliche Besitznahme, und ließ dann die Arme wie erschöpft an ihre Seiten fallen. »Es ist sehr schön, Pierre. Ich danke Ihnen. Vom ersten Geld, das ich verdiene, zahle ich es bei Ihnen ab …«
»Wenn Sie das noch einmal sagen –«, sagte Pierre – »stürze ich mich aus dem Fenster.«
Später aßen sie, was Madame Coco ihnen heraufgetragen hatte … kaltes Huhn, eine Stange frisches Brot, köstliche Butter, einen vorzüglichen Roquefort, eine Schüssel Salat niçoise. Dazu tranken sie einen gut gekühlten Rosé aus dem Gebiet von les Salettes … es war ein Abendessen, von dem Pierre sich wünschte, es möge zeitlos sein, alle Uhren mögen stehen bleiben und das Gefühl der Vergänglichkeit möge erlöschen.
»Morgen suche ich mir eine Arbeit«, sagte sie plötzlich.
Pierre sah sie strafend an. »Nur ein Deutscher kann beim Essen an Arbeit denken«, sagte er. »Mademoiselle, wir vollführen eine sakrale Handlung.«
»Wir können nicht immer essen.«
»Warum nicht?«
»Wann müssen Sie morgen aufstehen?«
Pierre dachte an die Markthallen und daran, daß er diesesmal der erste sein wollte, um den Posten am Gabelstapler zu bekommen.
»Um drei, Ev.«
»Wirklich?« Sie sah ihn fragend und ungläubig an.
»Wirklich. Morgen früh kann ein wichtiger Morgen sein, für uns alle.«
»Und da sitzen wir hier herum und essen? Pierre, Sie müssen schlafen.«
Sie sprang auf, räumte das Geschirr ab, verkorkte die Flasche, trug alles zum Waschbecken und setzte den Wasserkessel auf den Elektrokocher.
»Was machen Sie denn da?« fragte Pierre entgeistert.
»Ich spüle ab. Während Sie sich ausziehen und ins Bett legen, räume ich auf. Ich mag es nicht, wenn man Unordnung hinterläßt.«
»Ev –«, sagte er und wußte nicht, ob er sitzen bleiben sollte oder sie in die Arme nehmen mußte.
»Lassen Sie mich auch mal etwas tun!« sagte sie und klapperte mit dem Geschirr. »Ich hasse es, nutzlos zu sein.«
Das war ein wichtiger Satz … er sollte noch eine große Rolle spielen im Leben von Ev und Pierre.
Dann lagen sie im Bett, zwischen sich vier Meter Raum und die Staffelei. Ein trübes Licht glitt durch das große Fenster, der Himmel war zum Greifen nahe, es war eine Unendlichkeit mit Wolken, Sternen und gebrochenem Mondlicht, das alles auslöschte an Kleinigkeiten des widrigen Lebens.
»Mein ›Zimmer in Gottes Hand‹ –«,
Weitere Kostenlose Bücher