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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wangen stak. Auch das Kinn war klein, wenn man das hängende Doppelkinn abzog, und der dicke, faltige, stark gepuderte Hals war einmal schlank und lang. Wie hätte sonst Marius Callac die junge Cosima ›Mein Schwan‹ nennen können? Überhaupt der Puder. Madame trug Puder, wie andere Handschuhe … er überdeckte alles, was Falten hieß. Er schmierte jede Rille aus, glättete jede Runzel.
    »Du siehst mich an, als sei ich ein Fossil –«, sagte Madame.
    »Ich bewundere Ihre Haare.«
    »Lüge. Du bist entsetzt.« Sie lehnte sich zurück und stemmte die Beine von sich. Schlanke Beine, die letzte Erinnerung an Schönheit. Es war rätselhaft, wie sie diesen massigen Körper überhaupt tragen konnten. »Es ist ein Protest –«, sagte sie. »Ein Protest gegen das Alter! Ich wollte nie alt werden, weißt du. Bei den ersten grauen Haaren kam ich mir vor, als hätte mich Gott bestraft. Ich habe sie rot färben lassen. Gegen Rot ist man machtlos. Rot ist die Farbe, die alle anderen Farben vernichten kann. Ich weiß, wie alt ich bin, aber ich mißachte die Jahreszahl. Ich will's nicht wissen! Ich feiere nie Geburtstag … wie kann ein Mensch sich freuen, wenn er immer älter wird? Das sind Masochisten! Ich weiß, das ist alles dummes Zeug, was ich sage – aber ich bin so.« Sie griff in die Schürzentasche, holte ein Taschentuch heraus und schnupfte. »Was hast du dir überlegt, ma petite?«
    »Ich suche mir eine Arbeit, Madame.«
    »Ich habe eine für dich.«
    »Das ist wunderbar, Madame.«
    »Bei Marius Callac. Er weiß es noch nicht, aber das ist egal. Er braucht seit Jahren eine Sekretärin, aber er stellt keine ein, weil sie ihm im Monat sechshundert Francs kostet. Die Hälfte des Tarifs, der Geizkragen, mehr kalkuliert er gar nicht, trotzdem bekäme er eine für diesen Ausbeuterlohn. Aber nein … lieber sitzt er bis ein Uhr nachts im Büro und schreibt alles mit der Hand. Wie vor sechzig Jahren! Jetzt ist er 81, der Dickkopf! Muß Brillen tragen, bei denen den anderen, die ihn anblicken, die Augen tränen, so geschliffen sind sie. Du gehst zu ihm hin, Eva, und erledigst gleich die Morgenpost.«
    »Aber wenn er mich nicht will, Madame?«
    »Er wird wollen!« Madame Coco legte die Hände zusammen. An jeder Hand trug sie einen Ring, links einen Smaragd, rechts einen Rubin. Sind sie echt, fragte sich Ev und wartete ab. Wie kann sich eine arme Concierge Ringe mit Edelsteinen leisten? Wer ist diese Madame Coco? Die Leute in der Rue Princesse haben sich an sie gewöhnt, sie kennen sie nicht anders, und Gewöhnung ist soviel wie Blindheit. Auch Pierre sieht es nicht, trotz seiner Maleraugen, die mehr entdecken und erkennen. Und mit der wilden Mähne ihrer roten Haare erschlägt sie schon im Ansatz jede Nachdenklichkeit. Ein überdimensionaler Clown, der eine fremde Welt vorspielt.
    »Sag dem alten Querkopf, er soll mal zurückrechnen. Wenn er eine Enkelin hätte, wäre sie wie du! Er wird einen roten Kopf bekommen, aber er ist ein gut erzogener Mensch. Er war einmal ein vollendeter Kavalier, ma petite …« Sie erhob sich ächzend – die schlanken Beine protestierten also doch gegen das Gewicht – und winkte ab. »Geh zu Callac!« sagte sie laut. »Und ich gehe ins Château Aurore!«
    »Madame! Bitte nicht!« Ev rannte auf sie zu und faßte nach ihren Händen. »Tun Sie es nicht. Bitte!«
    »Du hast von den Chabras noch Geld zu kriegen –«
    »Ich will es nicht mehr, Madame.«
    »Ich will es nicht mehr! Bei Geld hört der Stolz auf! Verdientes Geld zu fordern, ist keine Hurerei! Pierre hat mir von den Doggen erzählt. Ich werde sie auf die Nase boxen!« Sie entwand Ev ihre Hände, ging zur Tür, und es war unmöglich, mit ihr noch zu diskutieren. »Setz das Wasser auf, ma petite! Ich höre Pierre unten in meiner Küche. Ein schlechtes Zeichen, wenn er jetzt noch zuerst zu mir kommt. Ein guter Junge.« Sie drehte sich in der offenen Tür um. »Er braucht einen Menschen. Ich habe vieles mit ihm versucht … aber ich bin nicht sein Jahrgang. Er hat den verdammten Stolz der Sangries … und wenn er aus einem Mülleimer ißt! Sei gut zu ihm.«
    Ev nickte. Sei gut zu ihm! Wer mußte hier wem das Leben retten?
    *
    Das Château Aurore gehörte den Bediensteten.
    Jules Chabras hatte sich noch am Abend nach dem Vorfall mit Pierre de Sangries nach St. Tropez abgesetzt. Er hatte Mizzi mitgenommen, eine neue Eroberung mit langen Beinen und kurzen Bubihaaren, exaltiert, auffällig, schamlos und ein Wesen, mit dem man in St. Tropez

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