Liebe ist staerker als Haß
Haß ihn innerlich zerfressen hatte. Selbst auf dem Totenbett konnte Oliver Howard von kaum etwas anderem sprechen als von seinem Haß auf die Peregrines.
Tag und Nacht pflegte Oliver mit Flüsterstimme vor ihnen zu warnen: »Sie werden versuchen, alles wiederzuerobern, was mein Werk war. Du mußt stark sein und sie von unserem Land fernhalten. Sie werden bald erfahren, daß ich nicht mehr da bin, um es zu verteidigen.«
Tearle gab darauf nie eine Antwort. Alle Welt schien ihn für einen Schwächling zu halten. Auch sein Bruder fürchtete, er würde nicht die Kraft aufbringen, um ihr Land vor Eroberern zu schützen. Die Peregrines hatten ihn ohnehin immer als zu weich angesehen. Sogar seine eigene Frau ...
Er wollte den Gedanken nicht weiter ausspinnen. Tatsächlich hatte er sich in dem Vierteljahr, seit er von den Peregrines zurück war, ständig bemüht, nicht an die Frau zu denken, die er in seiner Dummheit geheiratet hatte. Wochenlang hatte er mit rasendem Fieber im Bett gelegen und war dem Tod nahe gewesen, ehe sein Körper die Folgen der Mißhandlungen überwand, die er bei den Peregrines erlitten hatte, als sie ihn ohne Gerichtsverfahren verurteilen wollten.
An jenem Tag vor drei Monaten hatte er nach den furchtbaren Schlägen auf dem langen, schmerzensreichen Ritt zu ihrer Burg das Bild seiner Frau vor sich gesehen. Er hatte angenommen, sie würde empört über das sein, was ihre Brüder ihm angetan hatten. Zwar wußte er, daß sie ihm zuweilen nicht voll vertraute und ihn manchmal nicht verstand. Aber so gut mußte sie ihn doch kennen, um zu wissen, daß er nie so tief sinken könnte, ein Kind gefangenzunehmen.
Doch als er vom Pferd abstieg, konnte er ihr von den Augen ablesen, daß sie ihm das schlimmste Verbrechen zutraute. Sie glaubte den Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden. Obwohl sie mit ihm zusammengelebt und den größten Teil der Zeit in seiner Gesellschaft verbracht hatte, hielt sie ihn für fähig, ein Kind zu rauben. Sie meinte, er hätte sie nur geheiratet, um sich bei der Fehde zwischen den beiden Familien einen Vorteil zu sichern. Er sah ihr in die Augen und erkannte, daß ihr Haß auf ihn größer als jede Liebe war, die sie für ihn je empfinden würde.
Von körperlichen und seelischen Schmerzen gepeinigt, war es ihm zunächst gleichgültig, was die Peregrines mit ihm anstellten. Es war nur eine instinktive Handlung, mit der er den Knaben vor dem tödlichen Faustschlag des Ritters bewahrte. Er hatte mit neuerlichen Schmerzen dafür bezahlt. Doch wahrscheinlich hatte ihm diese Tat das Leben gerettet. Damals war ihm das Leben ziemlich gleichgültig gewesen, denn in jener Stunde war sein Haß auf die Peregrines nicht geringer als deren Haß auf die Howards.
Lianas Fragen beantwortete er nur, weil sie die erste Peregrine war, deren Gesicht nicht von Haß verzerrt war. Er sah, wie sie sich zwischen ihren Mann und ihn warf.
Erst danach, als seine Unschuld längst erwiesen war, trat auch Zared für ihn ein. Sie erklärte sich bereit, mit ihm fortzugehen. Ja, aber erst nachdem sie den Beweis bekommen hatte, daß er nicht der Schurke war, für den sie ihn gehalten hatte! Da wollte er sie nicht mehr haben. Denn obwohl sie ihn so gut kannte, hatte sie vorher nicht an ihn geglaubt. Genauso wie sie ihm nicht geglaubt hatte, als er ihr seine Liebe gestand. Nur an ihre Brüder und deren Haß glaubte sie. Haß bedeutete ihr mehr als Liebe.
Es gelang ihm, sein Pferd zu besteigen und nicht herunterzufallen, bis er die Stelle erreichte, wo die Männer seines Bruders lagerten. Sie brachten den halb Bewußtlosen auf einem Karren heim, und Olivers Frau Jeanne pflegte ihn, als ihn das Fieber schüttelte.
Jetzt war er nahezu völlig genesen. Was er noch brauchte, waren Sonne, Luft und etwas Bewegung. Dazu gutes Essen, denn er hatte in dem Vierteljahr stark abgenommen. Jeanne sagte, in ein paar Wochen wäre er wieder so gut wie neu. Doch er wußte, daß er über dieses Erlebnis niemals hinwegkommen würde. Als er diese Peregrine-Göre heiratete, hatte er kindlich naiv gehandelt. Er hatte geglaubt, seine Liebe könnte ihren Haß überwinden. Aber er hatte sich geirrt. Die Liebe hatte verloren und der Haß gesiegt.
An die Burgmauer gelehnt und den verhaltenen Sonnenschein genießend, bemerkte er plötzlich etwas Ungewöhnliches bei den Männern seines Bruders. Ein Jüngling fiel ihm auf, der sein Schwert in einer Weise handhabte, die ihm bekannt vorkam. Der Jüngling wirkte nicht gerade stark. Doch er war
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