Liebe ist staerker als Haß
Brüder. Liana warf ihnen vor: »Er floh vor den Howard-Männern? Nachdem ihr sie getötet hattet, habt ihr den Mann, der unseren Sohn gerettet hatte, geschlagen?«
Sie trat auf ihren Mann zu und sah ihn blitzenden Auges an. »Ist dein Haß so groß, daß er dir den Verstand vernebelt? Seit Wochen habe ich mit angesehen, wie du den Mann härtesten Übungen unterwirfst. Tag für Tag hat er deine Beleidigungen widerspruchslos hingenommen, und nie hat sich gezeigt, daß er wirklich der Teufel ist, als den du ihn bezeichnest.« Sie zeigte auf ihren Sohn. »Sieh dir die beiden an! Dein dreijähriger Sohn hat mehr Verstand als du. Er weiß, wer sein Freund ist!«
Dann drehte sie sich zu Tearle um und beugte sich über ihn. »Du magst ein Howard sein, aber du hast bewiesen, daß du unser Freund bist. Ich danke dir, daß du mein Kind gerettet hast.« Sie küßte Tearle auf die Wange, nahm ihm das schwere Kind ab und richtete sich auf. »Nehmt unseren Freund und verbindet ihn!« wies sie die Männer an. »Ich verlange, daß ihr ihn mit äußerster Sorgfalt gesundpflegt!«
Doch Tearle stieß die ihm helfend gereichten Hände der Männer, die ihn noch vor kurzer Zeit hatten töten wollen, beiseite und erhob sich langsam unter Schmerzen allein. »Ich bleibe hier keinen Augenblick länger. Ich reite nach Hause.«
Liana nickte nur. Sie fühlte Scham über die Art, wie man in den vergangenen Wochen mit ihm umgesprungen war. Aber sie konnte es ihm nachfühlen, daß er mit den Peregrines nie wieder etwas zu tun haben wollte.
Zared trat zu ihrem Mann und blickte ihre Brüder trotzig an. »Ich reite mit ihm.«
Bevor Rogan Einwände erheben konnte, meldete sich Tearle zu Wort. »Nein«, sagte er.
Zared sah ihn liebevoll an. »Ich will aber mit dir gehen. Ich will mit dir gehen, wohin du willst.«
Sein geschwollenes Gesicht wurde zu einer kalten, harten Maske. »Nein. Ich will dich nicht mehr haben.«
Eisige Angst überkam Zared. »Aber ich habe Vertrauen zu dir. Ich weiß, daß du das Kind nicht entführt hast. Und jetzt weiß ich auch, daß du nicht mein Feind bist.«
Seine Züge verloren nichts von ihrer Härte. »Du hast nicht an mich geglaubt. Ich habe in deinen Augen nur Haß gesehen. Du hieltest mich für genauso schuldig, wie deine Brüder es taten.« Damit war diese Sache für ihn erledigt, und er wandte sich an Liana. »Darf ich darum bitten, daß mir mein Pferd zurückgegeben wird? Ich will sofort aufbrechen.«
Lianas Augen weiteten sich. »Daran darfst du nicht denken. Du kannst jetzt kein Pferd besteigen. Du bist verwundet und hast keine Männer, die dich schützen können.«
»Ich will diesen Ort sofort verlassen«, sagte er, keuchend vor Anstrengung.
Niemand stellte sich ihm mehr in den Weg. Niemand unternahm noch den Versuch, ihn zum Bleiben in der Burg der Peregrines zu bewegen. Auch Zared trat zur Seite, als er aus dem Gemach ging - und damit aus ihrem Leben. Sie sah ihn gehen. Sie wollte ihm nacheilen. Aber das erlaubte ihr Stolz nicht. Wenn er sie nicht haben wollte, dann wollte sie ihn auch nicht haben.
»Geh ihm nach!« drängte Liana.
Aber Zared schüttelte den Kopf und stieg die Treppe zu den Schlafgemächern hinauf. Die Schultern gereckt, den Blick nach vorn gerichtet, verdrängte sie jeden Gedanken. Denn sonst hätte sie sich unweigerlich an all das Gute erinnert, das Tearle ihr erwiesen hatte. Von Anfang an war er freundlich zu ihr gewesen. Beim Turnier hatte er sich über sie geworfen, damit sie nicht von dem durchgehenden Pferd niedergetrampelt wurde. Sie bezweifelte auch nicht länger, daß er Rogans Sohn gerettet hatte.
Doch sie hatte immer an ihm gezweifelt. Sie hatte Lianas Rat, ihrem Gefühl zu vertrauen, nicht befolgt. Sie hatte sich von generationenlangem Haß leiten lassen und sich ihre Meinung über den Mann nicht nach dem gebildet, was sie täglich vor Augen hatte, sondern nach Trugbildern, die sie für bare Münze nahm. Nun konnte sie nicht mehr hassen. Und genauso, wie sie das von ihren Brüdern unterschied, mußte sich Tearle von seinem Bruder unterscheiden.
Als sie den Flur entlangschritt, hatte sie das Gefühl, etwas habe sich verändert. Sie blieb stehen und rieb sich die Arme, als sei ihr kalt. Dann drehte sie sich langsam um und warf einen Blick zurück. Die Tür zu dem Spukgemach stand offen.
Eine Zeitlang blieb sie dort stehen. Obwohl es draußen grau und wolkig war, sah sie Sonnenschein aus der Tür in den Gang fallen. Noch nie war sie in dem Spukgemach gewesen, dessen
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