Liebe ist staerker als Haß
Kleider mit ihm kämpfen würde.
»Es gibt nichts, hinter das du kommen könntest«, sagte er schließlich mit Unschuldsmiene. »Ich will diesen armen, unverstandenen Menschen wirklich nur helfen.«
Anne schnaubte, keineswegs ladylike. »Behalt deine Geheimnisse, aber halte mir auch diese Peregrines vom Leib! Ich will mich nicht zur Närrin machen lassen wie Lady Liana. Und nun mußt du gehen, bevor dich jemand sieht und es meinem Vater weitersagt.«
Tearle schaute sich beunruhigt nach Hugh Marshalls großem Haus um. »Ich danke dir«, sagte er, küßte ihr rasch die Hand und sprang über die Gartenmauer.
Als er nicht mehr zu sehen war, setzte sich Anne lächelnd auf die Bank. Es war schön, jemand zu treffen, der noch lachen konnte, der das Leben nicht so tierisch ernst nahm. Tearle erinnerte sie an die Menschen, die sie in Frankreich kennengelernt hatte.
Anne war erst fünf und ihre Schwester Catherine sechs Jahre alt gewesen, als ihre Mutter mit ihnen in ihr Heimatland zurückgegangen war. So waren die beiden Schwestern bei der Familie ihrer Mutter aufgewachsen. Ein Leben, angefüllt mit Lachen, Lernen und Schönem. Im Haushalt der mütterlichen Familie hatte es ihnen freigestanden, zu sagen, was sie wollten. Man hatte sie dazu ermuntert, Witz und Intelligenz zu gebrauchen. Man lobte sie wegen ihrer Schönheit, ihres Geschicks im Kartenspiel und im Reiten und pries ihre Vorlesekunst. Es schien fast, als könnten sie nie etwas falsch machen.
Im nachhinein bedauerte Anne, daß es ihr damals gar nicht so recht zu Bewußtsein gekommen war, wie wunderbar diese Jahre der Freiheit und des Glücks gewesen waren. Und jetzt schienen sie schon so lange zurückzuliegen, in weiter, unerreichbarer Ferne.
Als Catherine siebzehn und Anne sechzehn waren, verlangte Hugh Marshall, seine Frau solle mit den Töchtern nach England zurückkommen, da es an der Zeit sei, daß er für sie Ehemänner suche. Weder Anne noch ihre Schwester konnten sich an ihren Vater erinnern, und so hatten sie keine Furcht. Statt dessen freuten sie sich auf die Reise und führten aufgeregte Flüstergespräche über ihre zukünftigen Ehemänner.
Doch ihre Mutter traf Hugh Marshalls Forderung hart. Über Nacht verlor ihre Miene das Strahlen, ihr Haar den Glanz. Die Mädchen jedoch waren viel zu sehr von ihrer erregten Vorfreude in Anspruch genommen, als daß sie das leidvolle Antlitz ihrer Mutter bemerkt hätten. Erst als sie sich nach England einschifften, fiehl ihnen auf, daß ihre Mutter gespenstisch dünn geworden war und ihr Gesicht jegliche Farbe eingebüßt hatte.
Es genügten jedoch knappe zwei Wochen im väter-lichen Haus, und sie kannten die Ursache des Leids ihrer Mutter. Hugh Marshall war ein humorloser, ungebildeter Tyrann, der seine reichen Länder durch Terror und brutale Gewalt regierte. Und genauso wollte er mit Frau und Töchtern umspringen.
Nach der Ankunft in England gab es für die Frauen nichts mehr zu lachen, und ein Lob bekamen sie schon gar nicht zu hören. Hugh Marshall machte kein Hehl aus seiner Enttäuschung über die Art, in der seine Frau ihre beiden Töchter erzogen hatte.
»Erst konntest du mir keinen Sohn schenken«, blaffte er seine Gattin an, die täglich mehr dahinzuschwinden schien, »und dann hast du ihnen die Köpfe mit Bücherkram vollgestopft.« Und brüllend fuhr er fort: »Sie wagen es sogar, mir Trotz zu bieten!«
Als Catherine ihm sagte, daß sie den Mann nicht schätze, den er ihr zur Heirat bestimmt habe, schlug er sie, und sie trug ein blaues Auge davon. Danach sperrte er sie zwei Wochen lang in ihr Zimmer ein. Unter Tränen willigte Catherine schließlich ein, den verhaßten alten Mann zu heiraten, den der Vater ihr zugedacht hatte. Trotz seines Reichtums wollte Marshall immer reicher werden. Aber noch mehr verlangte es ihn nach Macht. Er sah seine Enkel schon zur Rechten des Königs sitzen. Daher verheiratete er Catherine mit einem Earl, der mit dem König entfernt verwandt war und bisweilen bei Hofe verkehren durfte.
Sechs Monate nach der Ankunft in England starb ihre Mutter. Hugh Marshall zeigte kein Bedauern über den Verlust. Er erklärte, sie wäre ihm niemals eine echte Ehefrau gewesen und habe ihm nur wertlose Töchter geboren. Als er gehört habe, daß sie keine weiteren Kinder mehr zur Welt bringen könne, habe er sie nach Frankreich gehen lassen. Da sie ihm keine Söhne schenken konnte, habe sie als Gattin keinen
Wert für ihn gehabt. Nach ihrem Tod dachte er an eine zweite Heirat mit
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