Liebe ist staerker als Haß
Bruder nach. In ihren schlimmsten Träumen hätte sie nicht geahnt, daß sie in eine solche Lage geraten könne. Soeben hatte ihr Bruder sie unter den Schutz des geschworenen Feinds der Familie gestellt. Ein Howard sollte sie vor den Howards schützen!
»Sieh mich nicht so an!« sagte Tearle, als Severn fort war. »Ich habe dir jetzt oft genug versichert, daß ich dir kein Leid antun werde. Ich werde dich wirklich beschützen.«
»Seit drei Generationen hat deine Familie meine Vorfahren und Brüder getötet, und da soll ich glauben, daß jetzt ein Howard mein Freund sein soll?« fragte sie höhnisch. »Nein, du sollst ja sogar mein Mann werden.«
Ihre Worte trafen Tearle, und wieder einmal fragte er sich, warum er sie nicht einfach verließ. Vielleicht weil das, was sie sagte, Gewicht hatte, weil er die Sünden der Ahnen und seiner Brüder schwer auf sich lasten fühlte. Vielleicht hatten seine Vorfahren den Peregrines wirklich ihr Land gestohlen.
»Es ist Zeit fürs Nachtmahl«, sagte er, »und du mußt es deinem Bruder und seinen Männern auftischen.«
»Was muß ich?«
Tearle lächelte. Sie diente hier zwar als Knappe, doch sie trug auch den Namen Peregrine. Normalerweise wurde ein Knabe im Alter von sieben Jahren zu einer anderen Familie in Pflege gegeben. Seit Jahrhunderten war bekannt, daß Knaben sich gern von Fremden unterrichten ließen, von den eigenen Eltern aber nichts lernen wollten. Doch Zared, die gewöhnt war, an der Seite ihres Bruder das Mahl einzunehmen, schreckte vor dem Gedanken zurück, ihm jetzt Fleisch und Wein bringen zu müssen.
»Ich habe deinem Bruder versprochen, ihn zu betreuen, und ich werde dafür sorgen, daß du deinen Pflichten nachkommst. Je mehr du zu tun hast, um so weniger Zeit bleibt dir, dich wegen Colbrand lächerlich zu machen.«
Sie schritt zur offenen Zeltklappe. »Ich habe es satt, mich von dir herumkommandieren zu lassen. Ich nehme das Nachtmahl allein ein.«
Zared mußte sich erst zwischen zwei Knappen einen Weg bahnen, um an das Fleischstück zu kommen, das sie für Severn holen sollte. Es fiel ihr schwer, ihr Temperament zu zügeln. Severn gefiel es dagegen, sich von seiner kleine Schwester bedienen zu lassen. Er wollte sie auch ein wenig dafür bestrafen, daß sie ihn vorhin so vernachlässigt hatte. Deshalb zeigte er ihr immer Fleischstücke auf anderen Tischen und verlangte, daß sie ihm das Gewünschte holte.
»Bring deinem Bruder eine Serviette!« sagte ihr der Howard.
»Warum?« gab Zared zurück. »Er benutzt ja doch keine.«
Natürlich war Severn inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß er nichts dringender brauchte als eine Serviette, und Zared mußte loslaufen und eine für ihn suchen.
Immer wenn sie einen Auftrag bekam, warf sie einen bösen Blick auf den Howard. Severn hatte ihn zu seiner Rechten Platz nehmen lassen. Für alle Welt sahen sie wie alte Freunde aus. Ja, dachte sie, zwei Freunde, die einen gemeinsamen Feind haben: mich.
Das Mahl zog sich hin, und Zared hatte so viel zu tun, daß sie nicht einmal Zeit hatte, sich umzuschauen. Sie hatte ein großes Erlebnis von diesem Turnierbesuch in Begleitung ihres Bruder erwartet, doch bisher war alles katastrophal verlaufen.
Endlich war das Mahl beendet. Die Ritter, die Familie Marshall, der König und andere Gäste strömten aus dem riesigen Saal, um sich den verschiedenen Unterhaltungen des Abends zu widmen. Einige der jungen Männer luden Zared ein, mit ihnen zu den Huren zu gehen, aber sie lehnte ab. Sie riß sich ein großes Stück vom Rinderbraten ab, nahm einen halben Laib Brot und verließ den Saal.
Kaum war sie draußen, stand Tearle neben ihr. »Ich habe schon auf dich gewartet«, sagte er.
Zared hätte beinahe das Weinglas fallen lassen. Ließ der Mann sie denn nie in Ruhe? »Laß mich allein!« sagte sie.
»Ich habe deinem Bruder geschworen, dich zu beschützen.«
»Wovor? Vor dir selbst? Merkst du denn nicht, daß ich dich nicht um mich haben will? Geh und such dir jemand anders, dem du deine Gesellschaft aufdrängen kannst! Mich laß in Ruhe!«
Tearle sah sie an, und ganz plötzlich kam ihm der Gedanke, ob er sich hier nicht tatsächlich jemandem aufdrängte, der nichts mit ihm zu tun haben wollte.
Nun, solange er, Tearle, bei dem Turnier weilte, war nicht damit zu rechnen, daß sein Bruder ihr nachstellen würde. Er blickte sich um. Zu Hunderten schlenderten die Menschen umher. Die jungen Männer machten sich an Mädchengruppen heran, um sie zu necken. Die Ladys in ihren
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