Liebe ist staerker als Haß
nicht recht, wie sie ihren Mann nennen sollte -, »daß ich keinen Hunger habe und deshalb nicht mit ihm speisen werde!«
»Dann helfe ich Euch in Euer Nachtgewand.«
Aber ein Nachtgewand besaß Zared ebensowenig. In ihrer Familie galten Nachtgewänder als unnützer Luxus. Ihr Bruder hatte ihr eine Ausstattung gekauft, die sie Tag und Nacht anbehielt, bis sie völlig abgetragen oder zu klein geworden war. »Nein«, sagte sie zu der Zofe, »das mache ich selbst.« Als die Frau sie danach allein ließ, atmete sie erleichtert auf.
Seufzend blickte sie auf das Bett. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als mit knurrendem Magen schlafenzugehen. Wenige Minuten später schreckte sie abermals auf, als vier Männer hereinkamen, um die Wanne mit dem schmutzigen Wasser wegzubringen.
Gleich darauf klopfte es schon wieder. Sie stand gerade am Kamin, wärmte sich die Hände und streichelte den Samt der Robe. Diesmal ging die Tür auf, ehe sie noch antworten konnte, und ihr Mann trat ein.
»Du treibst es zu weit«, sagte er. »Ist dir meine Gesellschaft so verhaßt, daß du lieber verhungern willst?«
»Nein«, erwiderte sie erstaunt. »Aber ich ...«
»Aha! Du hast also vor, die Mahlzeiten allein in deinem Gemach einzunehmen.«
»Ich habe nicht angeordnet, daß man mir etwas zu essen bringt.« In Wirklichkeit hatte sie gar nicht gewußt, daß man sich das Essen auch ins Zimmer bringen lassen konnte. So etwas war in der Burg ihrer Brüder nicht üblich.
Tearle trat zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Das kannst du nicht machen. Du kannst nicht freiwillig verhungern. Wenn dir meine Gesellschaft so zuwider ist, werde ich anordnen, daß du die Mahlzeiten hier allein einnehmen kannst. Hier wird dich niemand belästigen. Aber unten biete ich dir Musik und Unterhaltung. Kann ich dich nicht doch überreden, mit mir gemeinsam zu Abend zu essen?«
Sie sah ihn verärgert an. »Ich habe nichts anzuziehen, du Dummkopf. Was soll ich tragen, wenn ich mit dir zu Tisch gehe? Diese Zofen haben mir meine Kleider weggenommen.«
Er verstand nicht gleich, was sie meinte. Aber dann lächelte er, drehte sich um und ging zu der großen geschnitzten Truhe an der Wand. »Du hättest fragen sollen. Ich habe dir dieses Gemach angewiesen, weil es meiner Mutter gehörte. Hier drin sind ihre Kleider.«
Zared trat zurück. Er kramte in der Truhe und holte ein Gewand aus rotbraunem Samt heraus. Es hatte einen dunkelbraunen Pelzbesatz, den sie gern angefaßt hätte. Doch sie hielt sich zurück. »Wie konnte ich die Zofen nach Kleidern fragen? Sollte ich es ihnen auf die Nase binden, daß ich eine arme Frau bin? Als meine Schwägerin meinen Bruder heiratete, brachte sie ganze Wagenladungen von Kleidern mit.« Damit wollte sie ihm sagen, daß sie zwar keine angemessene Kleidung besaß, aber zumindest wußte, was ihr eigentlich zustand.
Tearle nahm auf ihren Stolz Rücksicht. »Ich werde ihnen sagen, daß du alles bei einer Überschwemmung verloren hast. Ja, und daß du acht - nein, zwölf Wagenladungen der schönsten Kleider aus Frankreich besessen hast. Aber da du alles eingebüßt hast, mußt du dich nun mit den alten Sachen meiner Mutter begnügen.« Er hielt ihr das Kleid hin. »Es ist wirklich alt, aber es müßte dir ungefähr passen, und die Farbe steht dir auch.«
Zared streckte die Hand aus und streichelte den Pelz am Halsausschnitt des Kleides. »Nerz«, sagte sie und sah ihn lächelnd an.
»Du wirst das Kleid anziehen?«
Sie konnte nur nicken.
»Dann rufe ich eine Zofe, die dir beim Anziehen behilflich ist und deine Frisur herrichtet.«
»Nein«, sagte sie mit gesenktem Blick. »Ich ziehe mich allein an.« Sie wollte in den Augen der Zofen nicht als unwissendes Mädchen erscheinen. Wenn sie sahen, daß sie keine Ahnung hatte, wie man ein Kleid anzieht und was man mit seinen Haaren tut, würden sie sie heimlich auslachen. Zared hatte mit angehört, wie Lianas Zofen ihrer Herrin hundert Fragen über Zöpfe, Kopfschmuck, Bänder und Strümpfe stellten. Nicht eine davon würde sie beantworten können.
Tearle legte das Kleid aufs Bett, nahm Zared an der Hand und ließ sie auf einer Bank am Feuer Platz nehmen. Dann nahm er von dem kleinen Tisch einen hübschen Schildpattkamm und begann ihr zärtlich die Haare zu kämmen.
»Ich kann das selber machen«, sagte sie.
Er schob ihre Hand weg. »Da wir beide nicht mehr lange Zusammensein werden, darfst du mich dieses Vergnügens nicht berauben.«
Stumm schloß sie die Augen, und er
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