Liebe kennt keine Gefahren
wenig — nun. vielleicht eine Winzigkeit — wütend werden könnte, wenn sie erfuhr, daß ihr Ehemann und der Schwarze Rebell ein und dieselbe Person waren. Natürlich hatte sie überhaupt keinen Grund, zornig zu werden, aber wer kannte sich schon bei Frauen aus? Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß sie vernünftig genug war, um einzusehen, daß er seinem Land helfen und sie beschützen wollte. Aber nach der Situation zu urteilen, bestand nicht im entferntesten die Möglichkeit, daß sie vernünftig sein würde. Es war viel wahrscheinlicher, daß sie sich so schwierig und uneinsichtig wie sonst auch verhalten würde. Er grinste im Mondlicht. Natürlich würde es ihm gelingen, sie wieder zu beruhigen. Er würde sie streicheln und...
»Alex, du lächelst so komisch. Würdest du mir jetzt bitte verraten, was du mir sagen wolltest, damit wir endlich umkehren können? Das nasse Gras wird deine neuen Schuhe ruinieren. « Er legte den Pferden Fußfesseln an und Jess den Arm um die Schultern. »Komm mit mir dort auf die Kuppe, damit wir die Aussicht genießen können. «
»Alex«, sagte sie ungeduldig, »ich habe mein ganzes Leben lang die Aussicht auf das nächtliche Warbroke genossen. Und ich habe es hundertmal von dieser Anhöhe aus betrachtet. Moment! Alex, hast etwa ein neues Schiff gekauft? Ist es das, was du mir verraten wolltest? «
Er drehte sie, den Rücken der kleinen Stadt zugekehrt, herum, daß sie ihn ansehen mußte. »Jessica, hin hierhergekommen, um dir etwas viel wichtigeres als den Kauf eines neuen Schiffes mitzuteilen. «
»Da steht eine Barke zum Verkauf an, die wir benutzen könnten, um... «
Er legte ihr den Finger auf die Lippen. »Hör mir jetzt zu, Jessica. Setzen wir uns hierher, damit ich mit dir über Männer und Frauen, Vertrauen, Pflicht und Ehre reden kann... «
»Meinetwegen. Aber wenn dir die Füße oder sonst etwas kalt werden... «
»Zuweilen tun Menschen das, was sie tun müssen. Vielleicht erscheint es anderen Menschen nicht so, daß man etwas tun muß, aber... «
Jessicas Gedanken begannen auszuschweifen, und während sie mit einem Ohr Alex zuhörte, betrachtete sie das Panorama der Stadt unter sich. Als sie so hinuntersah, entdeckte sie Fackeln, die sich bewegten. Jemand muß dort unten nachts sein Schiff entladen, dachte sie bei sich...
»... und wir lernen, einander zu vergeben und zu akzeptieren — trotz der Fehler, die wir im anderen zu entdecken glauben — und wir... «
Jess betrachtete unverwandt die Szene dort unten. Die Gruppe der Fackeln bewegte sich nun schneller, jedoch vom Kai weg. Stimrunzelnd sah sie plötzlich aufmerksamer zu den Fackeln hin. Noch mehr Fackeln kamen die Straßen herunter.
»... natürlich hast du das alles ausgelöst, Jessica. Und wenn du nicht gewesen wärest, würde vieles, was darauf folgte, nicht passiert sein. Ich bin dir deswegen nicht böse, aber ich möchte, daß du dich daran erinnerst, wenn ich dir sage... «
Im Mondlicht entdeckte Jessica nun eine dunkle Gestalt. Sie vermochte zunächst nicht zu erkennen, was es war, aber da die Gestalt auf die Anhöhe zukam, konnte sie sie mit jeder Sekunde besser sehen.
Unvermittelt sprang sie auf. »Er ist es«, sagte sie atemlos.
Alex, der immer noch auf dem Boden saß, blickte zu ihr hoch. »Wer ist es? «
»Der Schwarze Rebell. Die Leute dort unten jagen den Schwarzen Rebellen. «
Mit einem wissenden Lächeln erhob sich Alex nun ebenfalls vom Boden. »Jess, du kannst mir glauben, daß die Person — wer sie auch sein mag —, die dort unten gejagt wird, nicht der Schwarze Rebell ist. Vielleicht ist es ein blinder Passagier, der eben mit einem Schiff eingetroffen ist, oder irgendein... « »Da! « rief sie und deutete zwischen die Bäume. »Dort drüben beim Gerichtsgebäude. Es ist der Schwarze Rebell, wie ich schon sagte, und — O Gott, schau nur — sie haben ihm den Fluchtweg abgeschnitten. « Sie hob ihre Röcke an und begann zu der Stelle zu laufen, wo die Pferde waren. »Ich muß ihm zu Hilfe kommen. «
So schnell hatte sie Alex noch nie laufen sehen — ja, sie hätte es sich nicht einmal träumen lassen, daß er sich so rasch bewegen konnte. Er rannte hinter ihr her, riß ihr praktisch den schwarzen Umhang vom Leib, warf ihn über seine Schultern und rannte dann weiter zu den Pferden. Wie der Blitz hatte er eines der beiden Pferde von seiner Fußfessel befreit und schwang sich auf dessen Rücken, ehe Jess auch nur zwei Schritte weitergekommen war.
»Kehre nach Hause
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