Liebe kommt auf sanften Pfoten
interessieren. »Ich bin hier, um Michael zu sehen.«
»Michael?« Juliet verspürte die seltene Chance, die Königin der Korrektheit in diesem Punkt korrigieren zu können. »Hier gibt es keinen Michael. Du stehst vor dem falschen Haus.«
Louise starrte an ihr vorbei in den Flur und schien dann etwas zu erkennen – die Wanduhr im Modern-Art-Stil vielleicht. Fotos konnte sie nicht gesehen haben, dachte Juliet, da es diese hier nicht gab. Danach hatte sie selbst schon Ausschau gehalten.
Louise schüttelte den Kopf. »Michael. Mike Ogilvy. Er wohnt definitiv hier.«
»Louise, hier wohnt kein M…« Juliet hielt inne. Ihr klappte der Mund auf, als der Groschen fiel. »Mark. Mike. O mein Gott!« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Ich habe ihn die ganze Zeit über Mark genannt! Na ja, meistens einfach nur ›Futterlieferant‹. Vielen Dank für die Info – das hätte noch ziemlich peinlich werden können …«
Doch Louise konnte darüber nicht lachen. Sie sah eher aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Lou, alles in Ordnung mit dir?«, fragte Juliet besorgt. »Willst du kurz reinkommen? Mark … Entschuldigung, Mike , kommt erst so gegen sechs zurück. Er muss eine ganze Herde Rinder taxieren, und das in … Hey!«
Louise schwankte. Juliet packte sie schnell am Arm. »Alles okay mit dir?«
»Ich muss da etwas rausholen«, erklärte Louise schwach und deutete auf den Briefkasten.
»Was denn? Hast du deinen anonymen Brief an die falsche Adresse geschickt? Wird Mike wegen irgendwas vorgeladen? Ich dachte eigentlich, das sei Aufgabe der Polizei!«
»Jetzt hör endlich auf, Witze zu machen!«, heulte Louise. Sie heulte wirklich. »Verrate mir einfach nur, ob du diesen beschissenen Briefkasten für mich öffnen kannst?«
»Ja, wahrscheinlich …«
»Dann tu es. Bitte. Tu’s für mich.«
»Okay. Aber du musst mir erst sagen, warum ich das tun soll.« Juliet war sich nicht sicher, ob hier nicht eine Vertrauensfrage auf dem Spiel stand. Sie ging nie an den Briefkasten; das Fähnchen war immer unten, wenn sie herkam. Deswegen hatte es auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sie ihn tatsächlich monatelang mit dem falschen Namen angesprochen hatte. Oje.
»Mache ich. Alles, was du willst. Aber … hol jetzt einfach nur den Brief da raus.«
Juliet warf einen Blick auf die Rückseite der Tür, wo Mark – Mike – seine Schlüssel aufbewahrte. Dort hing auch ein kleiner Schlüssel, von dem sie annahm, dass er zum Briefkasten gehörte. Unter Louises flammenden Blicken schloss sie den Briefkasten auf.
»Das finde ich ein wenig unmoralisch«, erklärte Juliet, als sie ein paar Anwaltsbriefe auf schwerem Briefpapier, eine Gasrechnung, ein paar Pizzaflyer, eine Benachrichtigung der Post (wie schade, sie hätte das Paket annehmen können, wenn er ihr etwas davon gesagt hätte) sowie einen dünnen Brief mit Louises Handschrift aus dem Kasten holte.
»Was steht denn darin?« Juliet sah den Umschlag an, als wolle sie ihn gleich öffnen. »Ist das etwa ein Liebesbrief?« Als sie zu ihrer Schwester hinübersah, merkte sie, dass Louises Blick glasig geworden war.
Ganz langsam setzten sich die Zahnrädchen in Bewegung, und ihr drängte sich ein Verdacht auf. Louises seltsames Geständnis, was diesen naturliebenden Mann betraf – war das etwa Mark? Immerhin war er geschieden. Und dann gab es da noch dieses Kleinkind, das ebenso alt wie Toby war.
»O mein Gott!«, keuchte Juliet. » Er ist es! Mark ist der Mann, in den du dich vor Bens Tod verliebt hattest!«
Michael , erklang eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Er heißt nicht einmal so, wie du dachtest! So gut kennst du ihn also! Du dumme Gans ! Wie hattest du bloß annehmen können, dass sich hieraus vielleicht eine neue Beziehung entwickeln könnte?
Juliet wurde es schwindelig, und sie hatte das Gefühl, als würden die Mauern um sie herum auf sie zustürzen. Louise sagte irgendetwas, doch ihre Worte verhallten, da Juliets Verstand viel zu sehr damit beschäftigt war, das Rauschen in ihren Ohren zu besänftigen. Sie kannte den Mann ja kaum – wieso tat es dann so weh?
»Es ist vorbei, Juliet, ganz ehrlich. Da war ja auch nie wirklich etwas. Es war … Es war nicht einmal eine richtige Affäre. Eher ein kleiner Flirt, der ein wenig zu weit gegangen ist, als ich nach Bens Tod in einer Art Schockzustand war. Als er starb, habe ich mich gefragt, was wohl als Nächstes passieren würde, und …«
»Lass Ben aus der Sache raus, du Heuchlerin!«, schrie
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