Liebe kommt auf sanften Pfoten
die Augen und lehnte den Kopf nach hinten an das Metallgestell des großen Doppelbetts. Was löste bloß diesen Schmerz in ihrer Brust aus? Dass Michael offensichtlich über sie hinweggekommen war? Oder dass er das getan hatte, wozu sie nicht fähig war, und sein Leben in den Griff bekommen hatte?
»Louise?«
Louise zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Das Erste, worauf ihr Blick fiel, war ein Foto von ihr, wie sie vollkommen erschöpft, aber überglücklich Toby nach seiner Geburt auf ihrer Brust liegen hatte.
»Wirst du ihn wiedersehen?«, fragte sie und staunte über den fröhlichen Tonfall, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war.
»Nein«, erwiderte Juliet. »Nur seinen Hund. Du etwa?«
»Nein!«
»Jetzt tu nicht so gekränkt! Das war eine ernst gemeinte Frage.«
»Nein«, wiederholte Louise nachdrücklich, »ich werde ihn nicht wiedersehen. Ich habe mir geschworen, dass ich meine Beziehung mit Peter wieder in Ordnung bringe. Für Toby. Und nur darauf werde ich mich konzentrieren.«
»Er sagte, dass du das gesagt hättest.«
»Bekomme ich jetzt Extrapunkte?«
Juliet musste lachen, wurde dann aber wieder ernst. »Louise, du hast so viele gute und tolle Dinge in deinem Leben. Ich glaube, dir ist gar nicht klar, wie schön dein Leben ist. Bitte verdirb dir das nicht! Ich glaube, Mum könnte neben einer Witwe keine Scheidung mehr ertragen.«
»Mir ist sehr wohl klar«, beharrte Louise, »wie glücklich ich mich schätzen kann. Ich bin nur …«
Verzweifelt auf der Suche nach jemandem, bei dem sie eine andere Person sein konnte als die langweilige Louise? Nicht sicher, ob Peter sie jemals zu einem anderen Thema nach ihrer Meinung fragen würde als dazu, ob sie lieber Pasta Bolognese oder Lasagne essen wollte? Allmählich fühlte sich ihre Welt wieder sicher an, und sie dankte Gott inständig dafür, dass ihre Dummheit nicht zum Verlust ihrer Familie geführt hatte. Doch mehr würde es nie wieder werden.
Juliet stieß ein Schnauben aus. »Na ja, du weißt es ja am besten. Wie immer. Ich muss jetzt los.«
»Hast du etwas vor?« Louise verspürte einen Hauch von Neid. Juliets Gesellschaftsleben schien sich in letzter Zeit durch das Haustiersitten und die Einladungen der Kellys wieder zu erholen.
»Nein, ich muss nur nebenan babysitten. Emer und Lorcan fahren zu einer Pool-Billard-Meisterschaft.«
»Und du bist für das Babysitten zuständig? Entschuldigung, das klang jetzt entsetzter als beabsichtigt.«
»Die Kinder sind ja schließlich keine Babys mehr. Wir werden uns einfach eine DVD anschauen, danach gehen sie hoffentlich gleich ins Bett. Jedenfalls wollte ich nur, dass du weißt, dass ich mit Michael gesprochen habe. Falls du dich das gefragt haben solltest.«
»Danke. Aber das hatte ich mich nicht gefragt«, erklärte Louise entschlossen.
Das hatte ich mich nicht gefragt, wiederholte sie, als sie den Hörer auflegte.
»Mummy!«, schrie Peter aus dem Badezimmer. »Könnten wir bitte ein hübsches, warmes Handtuch haben?«
Das hatte ich mich nicht gefragt, wiederholte sie ein letztes Mal auf dem Weg zum Wäscheschrank.
22
D er Jahrestag von Bens Tod rückte allmählich näher wie ein Termin beim Zahnarzt. Juliet lag im Bett und wartete darauf, dass die Ziffern auf ihrem Radiowecker über Mitternacht hinwegschritten. Danach blieb sie liegen und starrte die Minutenanzeige an, während der Tag langsam erwachte.
Bens Mutter, Ruth, rief um acht Uhr an. Sie klang, als habe sie die ganze Nacht darauf gewartet, bis eine angemessene Uhrzeit für den höflichen Anruf erreicht war.
»Ich kann kaum glauben, dass es schon ein Jahr her ist«, fing sie an und brach unweigerlich in Tränen aus. Juliet konnte ihr Gestammel kaum noch verstehen.
»Ich weiß«, erwiderte sie, während sie das Zimmer durchquerte, um Minton vor Cocos Eintreffen noch schnell sein Frühstück zu geben.
Sie hörte geduldig zu, als Ruth schilderte, was sie damals gerade getan hatte, als der betreffende Anruf gekommen war – von Juliets Dad, der stillschweigend die schwere Bürde auf sich genommen hatte, alle zu benachrichtigen. Juliet murmelte mitfühlend, als Ruth darüber spekulierte, was Ben wohl heute tun würde, ob sie vielleicht schon Großmutter und das Unternehmen so expandiert wäre, dass sie in ihre Nähe gezogen wären.
Ausgerechnet am heutigen Tag wollte Juliet Ruth nicht unterbrechen, doch die wehmütigen Fantasien kratzten arg an ihrer eigenen recht instabilen Selbstbeherrschung. Gern hätte sie
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