Liebe kommt auf sanften Pfoten
Gejammer über Bäuche so dick wie Pizzateig und den fortwährenden Schlafmangel an. Zuerst hatte Louise Anna um ihren Partner beneidet, der sich stets die Zeit nahm, zur Gruppe zu kommen. Doch ihre Adleraugen hatten die Risse in ihrer Körpersprache schon lange vor der Geburt ihres Babys bemerkt. Wenn sie zusammen da waren, berührten sich die beiden so gut wie nie, und Anna beschwerte sich bitterlich über Michael, wenn dieser einmal nicht kommen konnte. Was Louise eigentlich ziemlich überraschte: In ihren Augen schien Michael ein sehr guter Vater zu sein, der seine kleine Tochter stets zum Lachen brachte. Auch Louise musste immer wieder über seine selbstsicheren, selbstironischen Witze schmunzeln. Am schmeichelhaftesten war die Tatsache, dass er sich mit ihr nicht nur über Kinderkrankheiten unterhalten wollte.
Eines Tages, als sie gerade ein Café verlassen wollten, hatte sie beiläufig nach Anna gefragt, da sie sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Michael hatte sie daraufhin angespannt angeschaut. »Ihr geht es gut. Aber wir haben uns getrennt. Wir teilen uns das Sorgerecht.«
»Aber du kannst uns doch nicht verlassen!«, war es aus Louise herausgesprudelt, woraufhin sie errötete. »Tut mir leid, das war eine ziemlich egoistische Antwort! Ich wollte nur sagen … Es tut mir sehr leid, dass ihr …«
Michael hatte sie mit ernstem Blick angesehen. »Ich will euch alle gar nicht verlassen. Wo sonst sollte ich denn dann erfahren, wo es die beste Brustwarzencreme gibt?«
Das war vor einer ganzen Weile gewesen. In der Gruppe wurde das Thema Anna nicht mehr angesprochen, und man behandelte Michael wie eine der anderen Mütter, auch wenn er einige Köpfe größer als die meisten war und mit einem einzigen geschickten Tritt den Buggy zusammenfalten konnte.
Aber Louise sah ihn mit völlig anderen Augen. Für sie war Michael eine Art Rettungsleine, eine Verbindung zu der alten Louise, die eine deutliche Meinung zu Virginia Woolf und nicht etwa zu Pampers, Babypuder und dergleichen besaß. Die Unterhaltungen, die sie nach dem Mittagessen auf dem Weg durch den Park führten, wurden nach und nach das Highlight ihrer monotonen Woche. Sie speicherte alle witzigen Beobachtungen und Fragen ab, für die Peter sich während der sensiblen knappen Stunde, die sie am Ende des Tages ohne das Baby miteinander verbrachten, nicht zu interessieren schien.
Peter wollte über nichts anderes als Toby sprechen, wenn er nach der Arbeit heimkam. Was, ganz gleich, wie sehr sie ihren hübschen Jungen auch anbetete, so ziemlich das Letzte war, worüber Louise sprechen wollte.
Bei einem jener Spaziergänge nach dem Mittagessen hatte Louise Michael von den kleinen Kirschbaumschösslingen erzählt, die Ben am Vortag vorbeigebracht hatte und bei ihnen für ihre Schwester heranziehen wollte.
»Das ist richtig romantisch«, hatte Michael sofort erwidert. »Fast ein Bildnis für die Liebe, nicht wahr? Das Wachsen und Absterben. Blüten tragen, danach der Winterschlaf, um dann wieder zu blühen.«
»Ich würde ja eher etwas Immergrünes bevorzugen, um bei den Metaphern zu bleiben«, hatte Louise entgegnet. »Das ist zwar weniger aufregend, aber dafür das ganze Jahr schön grün. Und es gibt nichts, was abstirbt.«
Michael, der den Buggy vor sich herschob, blieb abrupt stehen und musterte sie. »Wirklich?«, fragte er mit einem gewissen Unterton in der Stimme. Ein Tonfall, der sie zutiefst verunsicherte. »Du würdest also tatsächlich auf dieses unglaubliche Kirschbaumblüten-Gefühl verzichten, selbst wenn es nur ein Mal im Jahr dazu kommt?«
Das war der Moment gewesen, als in Louises Innerem etwas gekippt war – als ihr klar wurde, dass sie nicht die Person war, für die sie sich hielt. Von da an sah sie jedes Mal, wenn sie Bens Schösslinge wässerte, Michaels Hände auf den Griffen des Buggys vor sich, seine starken Arme, die unter dem Polo-Shirt hervorschauten. Sie hatte Schmetterlinge im Bauch und war ein wenig erschrocken über die Faszination, die sie für diese unfassbar neue Louise empfand, die sich in ihr entwickelte.
Ben hatte sie davor gewarnt, die Schösslinge zu ertränken. Louise musste sich jedes Mal daran erinnern, wenn sie das Gewächshaus betrat.
Um zehn Uhr abends hatte sich Juliet im Ohrensessel zusammengerollt. Minton schnarchte selig auf ihrem Schoß und pustete seinen heißen Atem auf ihre Beine. Der Fernseher war ausgeschaltet – das Nachtprogramm bot einfach nicht die gleiche beruhigende Vorhersehbarkeit
Weitere Kostenlose Bücher