Liebe kommt auf sanften Pfoten
wie das Tagesprogramm. Juliet lauschte der Musik von Coldplay und weinte dabei leise, um Minton nicht aufzuwecken. Auf den breiten Armlehnen des Sessels lagen Fotos, einer von Bens Arbeitskalendern sowie seine Brieftasche, in der sich immer noch die selben Kassenbelege und Karten befanden wie damals, als die Krankenschwester sie ihr ausgehändigt hatte.
Trotz ihrer Tränen fühlte sich Juliet nicht besser oder schlechter, sondern einfach nur müde.
Mintons Ohren richteten sich auf; plötzlich erhob er sich und ging in Habachtstellung. Juliet schenkte ihm keine Beachtung. Minton merkte sogar, wenn eine Katze auch nur eine Pfote in ihren Garten setzte – was er verdammt persönlich nahm. Juliet kraulte ihn am Ohr und versuchte, sich Bens Sommergarderobe in Erinnerung zu rufen. Im letzten Jahr hatte er sich an einem unerwartet heißen Tag einen solch schlimmen Sonnenbrand eingefangen, dass er den Rest des Sommers nur noch Shirts mit langen Armen getragen hatte …
Oder war das vor zwei Jahren gewesen? Mit geschlossenen Augen runzelte Juliet die Stirn und wollte schon Ben fragen – bis ihr, wie es mindestens zehnmal am Tag passierte, klar wurde, dass es keine Möglichkeit mehr gab, von ihm irgendetwas zu erfahren. Er war fort. Ein uferloser Schmerz schnürte ihr die Brust zu.
Auf der kleinen Veranda vor dem Haus ertönte ein Geräusch, und sofort sprang Minton von ihrem Schoß herunter, um der Sache auf den Grund zu gehen. Es klang wie das Klappern des metallenen Briefkastens. Wahrscheinlich war eine Pizzawerbung eingeworfen worden. Ein halbes Jahr nach Bens Tod hatte ihr Vater es so eingerichtet, dass Juliets gesamte Post an seine Adresse geschickt wurde, damit sie nicht jeden Morgen mit Bens Namen konfrontiert wurde. Eric sortierte alles penibel aus, kümmerte sich um alle finanziellen Angelegenheiten und brachte jeden Morgen Päckchen mit Karten und Notizen vorbei, wobei er jedes Mal so tat, als sei er »zufällig« gerade in der Gegend gewesen.
Kondolenzbriefe kamen mittlerweile keine mehr, auch Anrufe blieben nun aus. Es war fast so, als hätten alle vergessen, dass sie immer noch einsam war und trauerte.
Die erste Werbesendung, die an Ben adressiert war, hatte sie bis ins Herz getroffen. Erst in diesem Augenblick hatte sie begriffen, wie viel ihr Dad tatsächlich von ihr ferngehalten hatte. Seine Liebe hatte er mit Taten ausgedrückt, nicht mit Worten.
Juliet stand auf und ging zur Haustür, um zu sehen, was in den Briefkasten geworfen worden war.
Pizzawerbung war es nicht. Stattdessen fand sie einen DIN-A4-Umschlag, auf dem ihr Name in Großbuchstaben stand. Die Schrift kam ihr nicht bekannt vor, doch ihr Name war mit einem lilafarbenen Filzstift geschrieben worden.
Juliet lief in die Küche und öffnete den Umschlag. Darin befand sich ein ganzer Stapel von Zetteln, die halb gedruckt und halb von Hand beschrieben waren. Fasziniert setzte sie den Wasserkessel auf und knipste die kleine Nachttischlampe an, die eigentlich ins Schlafzimmer gehörte, im Augenblick aber hier als Küchenleuchte herhalten musste.
Juliet , stand auf einer Postkarte, die ganz zuoberst lag. Es war eine kostenlose Werbepostkarte aus dem Kino.
Ich habe überschlägig alle Kosten für die Arbeiten an deinem Haus zusammengerechnet. Die beiliegenden Kopien sind für die Handwerker gedacht, damit denen sofort klar ist, dass du weißt, wovon du sprichst. Der Rest, den ich markiert habe, ist für dich gedacht. Dieser Teil ist realistischer berechnet. Ich könnte dich wahrscheinlich zwischen zwei Aufträge schieben, wenn du möchtest, dass ich die Arbeiten durchführe, aber ich kann nicht alles in einem Rutsch erledigen. Sag mir einfach kurz Bescheid – du weißt ja, wo du mich findest.
Gruß,
Lorcan
Die Liste mit Lorcans feiner Handschrift zog sich über mehrere Seiten hin. Juliet hielt kurz inne, bevor sie weiterlas. Sie hatte noch dreißig Minuten ihrer Trauerstunde vor sich; besaß sie genügend Kraft, um sich damit auseinanderzusetzen? Wäre es geschummelt, wenn sie sich jetzt mit den Seiten ablenken würde?
Mintons Pfoten rutschten über den Küchenboden. Unter dem Tisch, auf dem eine Tupperdose mit seinen Hundeleckerli stand, stoppte er. Er bettelte nicht, sondern wies Juliet mit seinen glänzenden Augen auf die Dose hin. Er wirkte putzmunter und schien, wie Juliet fand, mächtig froh zu sein, dass die Trauerstunde so früh beendet war und das normale Abendprogramm nun fortgesetzt werden konnte.
Eigentlich bin ich auch ein
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