Liebe läßt alle Blumen blühen
rechten Außenspiegel und wartete darauf, daß ein Auto mit deutscher Nummer auf den Parkplatz vor dem Palast einbog. Das mußte der Steinwerfer sein – Dozent Vollrath? Aber kein deutscher Wagen kam in Sicht, nur ein alter, verbeulter blauer VW keuchte an ihnen vorbei. Doch den beachtete Zipka nicht, weil zwei Männer darin saßen. »Ich habe noch gar nicht gefragt, wie unsere Endstation heißt.«
»Moulin St. Jacques bei Mas d'Agon.«
»Hui! Das klingt nach Alphonse Daudet – ›Briefe aus meiner Mühle‹. Moulin St. Jacques! Da riecht man förmlich die Etangs und das Gras.«
»Es ist eine alte Mühle, direkt am Wasser des Etang de Vaccarès. In der Nähe steht eine uralte Wallfahrtskapelle. Aber das ist nur unsere Station. Von dort will ich hinein in die Welt der tausend Inselchen und Seen …«
»Autofahren ist dort verboten«, wandte Zipka ein.
»Ich werde reiten.«
»Das können Sie auch?«
»Sie natürlich nicht!« Kathinka lachte. »Sie können ja in dieser Zeit Ihre neue Camargue-Fliege zeichnen und konstruieren.«
»Wohl kaum! Ich werde Sie nicht allein lassen in den riesigen Schilfgebieten.«
»Die Menschen in der Camargue sind die ehrlichsten der Welt! Die grandiose Natur schuf auch grandiose Menschen.«
»Trotzdem. Ich werde mir ein Pferd nehmen, das dem Ihrigen nachtrottet. Mehr braucht es ja nicht zu können. – Sie kommen jetzt nicht mit in den Papstpalast?«
»Ich kenne ihn. Ich war schon zweimal in Avignon. Und auch in Arles und Tarascon.«
»Tinka, Sie sind ein Aas!« Zipka schlug die Tür, die er gerade geöffnet hatte, wieder zu. »Warum haben Sie das nicht gestern gesagt? Ich hatte mich so darauf gefreut, Ihnen etwas Schönes zeigen zu können. Extra Ihretwegen habe ich ein Reisebuch über die Provence auswendig gelernt.«
»Mir scheint, Ihre ganze Reise wird sich als Fehlinvestition herausstellen«, antwortete Kathinka Braun fröhlich. »Wollen Sie nun aussteigen?«
»Nein. Auch nicht in Arles oder anderswo. Erst bei Ihrer Moulin St. Jacques. Wie sind Sie eigentlich an die gekommen?«
»In irgendeinem Reisebericht wurde sie erwähnt. Die Beschreibung faszinierte mich. Ich schrieb an den Bürgermeister von Mas d'Agon und bekam eine Antwort. Die Mühle gehöre einem Gastwirt. François Dupécheur. Seit Jahren schon sei sie unbewohnt, sie träume und verfalle so allmählich. Danach habe ich sechsmal mit Monsieur Dupécheur telefoniert, bis er überzeugt war, daß ich keine Irre bin. Er vermietet mir die Mühle für sechs Wochen – auf eigene Gefahr, wie er sagte. Aber ich glaube, er hält mich noch immer für etwas verrückt.«
»Ich werde den guten Mann auf beide Wangen küssen!«
Kathinka blitzte ihn böse an und drehte den Zündschlüssel herum.
»Beine rein – ich starte!« rief sie. »Oder soll ich Sie doch noch zum Bahnhof bringen? Noch ist es einfach, von hier wegzukommen.«
»Zu spät, Tinka.« Zipka schloß das Fenster. »Sie haben in mir das wilde Abenteurerblut geweckt …«
»Und ich weiß nicht, wie ich es mit Ihnen sechs Wochen lang aushalten soll«, stöhnte Kathinka.
Sie fuhren durch Avignon und ohne weiteren Aufenthalt durch Arles und Gimeaux les Passerons. Dann bogen sie bei Mas de Goult von der N 570 ab und erreichten über die Straße, die durch das Sumpfgebiet von Marais de la Grand Mar führt, am Nachmittag den winzigen Ort Mas d'Agon. Die Sonne brannte rötlich auf das unendliche Land, die weißgekalkten oder gelb und blau bemalten Häuschen mit den Schilfdächern oder den Steinplatten leuchteten in der Nachmittagssonne. Es herrschte eine Stille, die so vollkommen war, daß man den eigenen Herzschlag als eine Störung empfand. Sie waren das einzige Auto auf der Straße von Mas d'Agon. Das schien den Dorfgendarmen anzuregen, seinen Schreibtisch zu verlassen, aus der Gendarmerie zu treten und würdevoll auf die Fremden zuzuschreiten.
Kathinka war ausgestiegen und ließ die Haare in dem warmen sanften Wind wehen, der vom Meer kam; Zipka machte neben dem Auto wieder seine dämlichen Lockerungsübungen. Der Gendarm legte seine Hand an die Mütze und steckte den Daumen der linken Hand hinter sein Koppel. Er warf einen Blick auf die deutsche Autonummer und fragte dann: »Kann isch Ihnen hälfenn, Madame? Sind gefahren falsche Wägg?«
»Wir können in Ihrer Sprache reden, Monsieur.« Kathinka Braun lächelte den Gendarmen an. Nun ist das so: Wen Kathinka anlächelt, der schmilzt dahin wie Butter an der Sonne. Ein Mann wird willenlos, weil die Verbindung
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