Liebe läßt alle Blumen blühen
zwischen Vernunft und Handlungsvermögen unterbrochen ist. Auch der Gendarm von Mas d'Agon war nur ein Mann …
Er war ein stattlicher Mann mit einem kleinen Bauch, ein imposanter Mann, dem der Bauch nicht einmal schlecht stand, ja, seine Würde eher noch unterstrich. Außerdem war er Sergeant, seit zwei Jahren Witwer. Er war sehr stolz auf seinen Dienstrang, trug seine Uniform stolz wie der Pfarrer sein Meßgewand und konnte sich rühmen, der erfolgreichste Polizist der Provence, ja vielleicht sogar ganz Frankreichs zu sein: In sechsundzwanzig Jahren Dienst in Mas d'Agon hatte es keinen ›Vorfall‹ gegeben. Keinen Einbruch, keinen Diebstahl, keine Schlägerei, keinen Betrug, nicht einmal einen ehelichen Krach, den man schlichten mußte, von Totschlag oder Mord überhaupt nicht zu reden. Selbst ein Verkehrsprotokoll war nie ausgeschrieben worden, wohl weil es nur zwei klapprige Lastwagen im Ort gab, ansonsten nur Pferdefuhrwerke. Fremde waren in Mas d'Agon ungewöhnlich. Der Schreibtisch der Gendarmerie war sauber, seit sechsundzwanzig Jahren!
Das letzte Ereignis war der Selbstmord eines Malers gewesen, der sich am Ortsrand die Pulsadern aufschnitt, weil er den göttlichen Sonnenuntergang in dieser Schönheit nicht malen konnte. Darüber sprach man noch heute in Mas d'Agon, und die Gendarmerie lebte sozusagen von diesem Protokoll. Es kehrte immer wieder, bei allen Monatsberichten. Letzter Vorfall am … vor sechsundzwanzig Jahren …
»Madame, was kann ich für Sie tun? Ich bin Sergeant Emile Andratte.« Er grüßte noch einmal, noch zackiger als beim erstenmal, und warf einen Seitenblick auf den turnenden Zipka. »Monsieur haben Sorgen mit der Durchblutung?«
»Er kann sich an den Wagen nicht gewöhnen«, erklärte Kathinka Braun. »Dabei sitzt man in ihm wie auf einem Diwan.«
Zipka stellte seine Übungen ein und kam um den Wagen herum. »Sergeant, Sie sind ein Mann von großer Energie? Man sieht es Ihnen an. Besitzen Sie einen Hund?«
»Ja!« antwortete Andratte freundlich. Es sind wirklich gebildete Leute, dachte er. Sie haben einen guten Blick und schätzen die Menschen richtig ein.
»Und einen Vogel?«
»Gewiß. Sogar einen Grau-Papagei.«
»Gratuliere, Sergeant!«
»Ich bedanke mich, Monsieur.«
»Was würde Ihr Hund sagen, wenn Sie ihn in den Papageienkäfig sperrten?«
Sergeant Andratte lachte kehlig, stellte sich das plastisch vor und lachte noch einmal. »Das wäre nicht auszudenken! Mein Caesar würde heulen.«
»Sehen Sie! Meine Selbstbeherrschung verbietet es mir, auch zu heulen. Sehen Sie mich an und dann den Autositz. Ich weiß, Sie werden mich wie einen Bruder voller Mitgefühl umarmen.«
Andratte lachte wieder, blinzelte Kathinka an und heftete seinen Blick auf ihren Busen. Dann leckte er über seine Lippen und stellte innerlich fest, daß dieser Tag sehr angenehm ausklang. »Wenn ich helfen kann …«, sagte er wieder.
»Ich suche François Dupécheur, Sergeant …«
»Den Gastwirt?«
»Ich habe von ihm Moulin St. Jacques gemietet.«
»Oh, Sie sind das?« Emile Andrattes Augen leuchteten. Er dachte an Dupécheurs Erzählung und freute sich, daß alles ganz anders war. Nein, diese Frau war nicht verrückt, wie der Gastwirt vermutet hatte. Im Gegenteil … Daß gerade Mas d'Agon mit einer solchen Frau sechs Wochen lang gesegnet war, mußte man als Wohlwollen Gottes ansehen.
»Die Mühle«, sagte Andratte, »ist schon ein einmaliges Bauwerk. François und seine Frau Florence sind unten und warten auf Madame und Monsieur. Ich werde Sie hinführen. Wenn Sie nichts dagegen haben, fahre ich auf dem Rad voraus. Seit fünfzehn Jahren habe ich einen Dienstwagen beantragt …« Andratte seufzte tief. »Aber in der Präfektur von Arles ist man der Ansicht, daß ein Fahrrad genüge. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ich fülle weitere Anträge aus. Wenn nur irgend etwas hier passieren würde … Das wäre ein Grund, sofort ein Auto zu bekommen.«
Andratte, der gemütliche Sergeant von Mas d'Agon, ahnte zu dieser Stunde noch nicht, wie schnell er an einen Dienstwagen kommen sollte.
Er radelte schwitzend dem Sportwagen voraus, zeigte dann mit ausgestrecktem Arm nach vorn, als der Etang de Vaccarès in Sicht kam und man von der Straße abbog.
Man geriet auf einen Weg aus Sand, Kies und Schilf.
Etwa hundert Meter entfernt stand, weiß gegen die Sonne, mit zerfledderten Flügeln und buckligem Dach, die Mühle St. Jacques.
Kathinka bremste; sie stiegen aus und kamen zu Emile Andratte,
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