Liebe läßt alle Blumen blühen
der den Schweiß aus seinem Käppi wischte.
»Das ist sie«, sagte er und wedelte sich frische Luft zu. »Sie soll fünfhundert Jahre alt sein. Im Jahre 1457 ist dort eine Frau geköpft worden – von den Flügeln. Steht in Arles in den Akten.«
»Ein zauberhaftes Fleckchen Erde!« meinte Zipka sarkastisch. »Sind die Flügel noch betriebsfertig?«
Sie blickten hinüber zu der alten Mühle und zu der silbern schimmernden Wasserfläche des riesigen Sees. Vogelschwärme waren die einzigen Wolken unter dem blauen Himmel.
»Ich freue mich«, sagte Kathinka leise. »Nach all der Hetze dieser Frieden. Es ist wie im Paradies.«
In einiger Entfernung von ihnen, hinter einem Schilfhügel verborgen, lagen zwei Menschen auf dem Boden und beobachteten die Fremden durch Ferngläser. Es waren ein Mann in einem eleganten Reitdreß und eine junge Frau mit einem bemalten Puppengesicht.
»Da sind sie«, sagte der Mann leise. »Es war also doch kein dummes Gerede. Ein Ehepaar aus Deutschland hat tatsächlich Moulin St. Jacques gemietet!«
»Was nun, Raoul?« fragte die junge Frau mit einer kindlich hellen Stimme.
»Wir müssen sofort etwas unternehmen! Sie müssen aus der Mühle raus! Ich kann nur hoffen, daß die Fremden heute zu müde und nicht allzu neugierig sind. Aber morgen wird sich alles ändern …«
Er blickte noch einmal durch sein Glas und schwenkte dann hinüber zur Mühle. Dort wartete das Ehepaar Dupécheur auf die Gäste. »Ein Mist ist das!« meinte der elegante Mann und bückte sich etwas mehr, weil sich Sergeant Andratte gerade umdrehte. »Wer rechnet auch damit, daß sich verrückte Deutsche eine Ruine zum Urlaub mieten?«
Das Ehepaar Dupécheur begrüßte die Ankommenden zwar äußerst freundlich und mit typisch südfranzösischer Herzlichkeit, aber doch abwartend und abschätzend. Schon als Kathinka und Zipka bei der Mühle aus dem Wagen stiegen, und der Sergeant wieder den Schweiß aus seinem Käppi wischte, flüsterte Florence ihrem Mann zu: »Verrückt sehen sie nicht gerade aus.«
»Madame ist eine Schönheit«, stellte Dupécheur sachkundig fest.
»Das hat mit Verrücktheit nichts zu tun!« Florence lächelte breit, weil Kathinka sie gerade anblickte. »Für dich ist Madame eine Mieterin und keine Schönheit, compris?«
»Hoffentlich gefällt es Monsieur«, sagte Dupécheur, nachdem man sich vorgestellt und begrüßt hatte.
Die große Tür der Mühle St. Jacques stand weit offen, die fünf kleinen Fenster an dem runden Steinbau waren aufgeklappt, der Wind raschelte in dem haubenförmigen Dach und knarrte in den blockierten Flügeln. Ein Schwarm großer weißgrauer Vögel, die Zipka nicht kannte, zog mit hellem Schreien vorüber, umkreiste die alte Mühle und zog dann ab in den silbern schimmernden See mit seinen Schilfinseln.
Kathinka schien recht zu behalten: Es konnte ein Paradies werden.
»Ich bin begeistert«, antwortete Zipka in einem so perfekten Französisch, daß Kathinka sich – wie schon so oft – fragte, ob dieser grauenhafte Mensch wirklich nur Designer für Anglerfliegen war. »Diese Landschaft macht«, redete er weiter, »den Menschen demütig. Unter diesem Himmel begreift man, daß man eigentlich ein unwichtiges Nichts ist. Ja, hier kann man das Leben lieben lernen. Nicht wahr, mein Schatz?«
Kathinka Braun ignorierte die letzten Worte. Sie blickte an dem hohen Bau empor und musterte dann die Umgebung. Überall wucherte Unkraut. Ein Gemüsegarten – man erkannte ihn nur noch an der Anlage der Beete – war seit Jahren nicht bestellt worden. Mannshohe Disteln schossen hier in den Himmel.
Sergeant Andratte machte eine weite Handbewegung und schien die Hoffnung zu haben, daß sich Madame im letzten Augenblick doch noch für einen geselligeren Ort entschied.
»Hier ist nichts!« sagte er traurig. »Kein Telefon, kein Kaufmann, kein Bistro. Wie steht's mit dem Wasser, François?«
»Die Handpumpe tut es. Wir haben sie ausprobiert.«
»Eine Handpumpe!« Andratte sagte es, als spucke er eine muffige Auster aus.
»Sie befindet sich im ehemaligen Garten. Wir haben auch sechs Eimer bereitgestellt.« Dupécheur hob sechs Finger. »Wenn es nicht genug sind, können wir noch welche besorgen.«
»Eimer …«, sagte Andratte gedehnt. »Und kein Licht …«
»Kein Licht?« fragte Kathinka.
»Natürlich Licht – aber Petroleumlampen. Warum sollte man nach hier eine elektrische Leitung verlegen. Der letzte Bewohner starb hier 1893. Er fiel drinnen die steile Treppe hinunter und brach
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