Liebe, lebenslänglich
Die vielen Reisen, die vielen Vorbereitungen, die einhergehen mit einer Ausstellung. Sie müsste ihre Art zu leben aufgeben, das wolle sie nicht. Und, fügt sie an, die Zeiten hätten sich doch sehr geändert. Was in den Siebzigerjahren, als die Frauen sich als unterdrückte Klasse sahen und mit Leidenschaft dagegen ankämpften, drin lag – sich mit einem Baby an der Brust oder in den Armen zu zeigen und ernst genommen zu werden – ist in diesen professionalisierten Zeiten offenbar einiges schwieriger geworden. Heute kann eine Künstlerin wie Una Szeemann gleichzeitig in New York, Wien und Uri eine Ausstellung haben, aber das erfordert permanente Erreichbarkeit. »Wenn ich eine Mail nicht augenblicklich beantworte, kann es schnell mal passieren, dass mir das Flugticket nicht bezahlt wird.« Der Druck und die geforderte Flexibilität scheinen derart hoch, dass auch der Fortschritt, der in der institutionalisierten Fremdbetreuung à la Kita besteht, nicht wirklich weiterhelfen würde. Kind oder Kunst, lautet für Una Szeemann die Frage.
Ihre Mutter kennt die Widerstände ihrer Tochter und sagt: »Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn Una ein Kind hätte. Aber es ist ihr Leben, ihre Entscheidung.«
Ob mit oder ohne Kind beziehungsweise Enkelkind, beide bestätigen ihren Zusammenhalt. Ingeborg Lüscher spricht von einer »idealen Beziehung«. Und Una Szeemann beschreibt das Verhältnis zu ihrer Mutter als das einer »wundervollen Nähe«. Die beiden telefonieren fast täglich. Sie beschäftigen sich mit ähnlichen Dingen. Una Szeemann unterhält jetzt mit Bohdan Stehlik eine ähnliche Liebes- und Arbeitsgemeinschaft wie ihre Mutter früher mit Harald Szeemann. Und so ist es wohl auch das Ergebnis dieser für beide maßgeschneiderten Beziehung, dass man Una Szeemann Glauben schenkt, wenn sie sagt: »Ich eifere meiner Mutter nicht nach.«
WAR ER 75?
Als Jugendlicher hätte er ihn beinahe umgebracht. Heute kann Cord Riechelmann (53) nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie alt sein Vater wurde. Er hat ihn als autoritären Charakter identifiziert und aus seinem Leben geworfen. Mit Erfolg, auch wenn der verbannte Vater einmal eine Art Phantomschmerz verursacht hatte.
Schon als Kind wich Cord Riechelmann seinem Vater aus, wann immer er konnte. Nach seinem Hochzeitsfest mit dreißig brach er den Kontakt vollends ab. Denn das Verhalten seines Vaters seinen anwesenden schwulen Freunden gegenüber war derart unmöglich gewesen, dass Cord Riechelmann bis heute die Erinnerung daran vermeidet. Als sein Vater starb, hatte er ihn zwanzig Jahre lang weder gehört noch gesehen. Nie hätte er gedacht, dass dessen Tod ihn derart aus der Bahn werfen könnte.
Ein toter Vater sei schlimmer als ein anwesender, schrieb Sigmund Freud. Cord Riechelmann kennt den Satz, sucht aber immer noch nach Erklärungen, warum er auch auf ihn zutrifft. »Keinesfalls habe ich Triumph, Erleichterung oder Gleichgültigkeit verspürt«, sagt er und bemüht sich weiter, der Wirkung, die der Tod seines Vaters auf ihn hatte, mit Worten beizukommen. Er horcht ihnen nach, als wolle er seine Gefühle im Reden aufheben. Er probiert es mit »Niedergeschlagenheit« im Unterschied zu »Depression«, depressiv sei er nicht gewesen, auch nicht arbeitsunfähig, gelähmt vielleicht. Ja, so könne man es sagen: »Ich bin in einen Zustand der Lähmung verfallen, und zwar für ein ganzes Jahr.«
Wie sich in der Rosine die Aromen der Traube konzentrieren, so konzentriert sich in der Reaktion auf den Tod von Vater und Mutter die Beziehung, die man zu ihnen hatte. Oft taucht in der komplexen Gefühlslage zudem der Wunsch auf, sich anders verhalten zu haben, oder das Bedauern, etwas verpasst zu haben. Cord Riechelmann schließt diese Möglichkeiten als Erklärung für seine »anhaltenden Trägheitsmomente« aus – ein weiterer Versuch, seine Stimmung nach dem Tod seines Vaters zu fassen. »Es war das bloße Faktum, dass dieses Wesen weg war. Als ob etwas aus mir rausgenommen worden wäre.« Eine Art Phantomschmerz? Er wiegt den Kopf hin und her: »Vielleicht.« Er versucht es mit einer psychophysischen Erklärung: »Auf die Gefahr hin, dass es mystisch klingt: Die immense Anwesenheit des Vaters in meinem Körper fiel plötzlich von mir ab.« Er verfügt auch über eine psychologisierende Lesart: »Ich konnte jetzt nichts mehr auf ihn abschieben.« Und eine ganz trockene: »Selbst wenn ich nie daran geglaubt habe, dass mein Vater sich je ändern würde, jetzt war das
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