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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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zum Beispiel Sätze wie »Ein Szeemann ist genug« anhören muss und sich wegen ihres Namens mehr durchzuboxen habe als andere. Auch dass sie nicht loskommt von ihren Eltern, hält sie für keine Besonderheit: »Das geht schließlich allen Kindern so.«
    Nein, das wirklich Schwierige sei, dass man in einer solchen Umgebung schon ziemlich früh mit einem ziemlich guten Gefühl dafür ausgestattet sein müsse, wer man sei, und dass man sicher sein könne, es beweisen zu müssen, und dass man davor keine Angst haben dürfe. Mit anderen Worten: »Man braucht viel Charakter.«
    Den bewies sie, als sie sich nach dem Abitur für eine Schauspielschule entschied – wie ihre Eltern. Oder als sie sich dem Schauspiel ab- und der Kunst zuwandte – wie ihre Mutter. An Warnungen von Freunden fehlte es nicht. »Die Tochter des weltweit berühmten Harald Szeemann – eine Künstlerin? Vergiss es. Da nimmt dich keiner ernst.« Doch sie wusste, dass sie sich nicht in den Fußstapfen ihrer Eltern bewegte, sondern auf ihrem eigenen Weg.
    Natürlich hatte auch die Mutter Bedenken. »Es war eher Mitgefühl als Angst.« Die Kunstwelt sei so hart, was man da aushalten müsse, erst recht am Anfang, wenn man noch nicht wahrgenommen werde. Sie habe dann zu Una dasselbe gesagt, was ihre Mutter schon zu ihr gesagt habe: »Wenn du denkst, du musst das machen, dann mach es.«
    Wenn Ingeborg Lüscher nach Gründen sucht, warum sie dieses Kind unbedingt wollte und warum sie ihm mit Vertrauen begegnen konnte, dann kommt sie auf ihre Berliner Kindheit zu sprechen. Sie erinnert sich an Nächte der nackten Angst im Bunker. Sie hatte Spielkameraden, die ihre Eltern bei einem Bombenangriff verloren. Sie sah zu, wie bei Kriegsende eines ihrer zwei Geschwister starb, weil seine Verbrennungen im Spital fahrlässig behandelt worden waren. »Zu jener Zeit galt ein Menschenleben nicht viel«, sagt sie.
    In dieser traurigen Welt habe ihre Mutter für sie eine Gegenwelt erschaffen, die allein von der Liebe bestimmt gewesen sei. »Mein Sinn für das Mögliche ist von meiner Mutter geprägt, weil ich so eine tolle Beziehung zu ihr hatte.« Auch über ihren Vater hat sie nur Gutes zu berichten. Sehr freudig und weise sei er gewesen, und tatkräftig und liebevoll. Unter den Nazis und später in der DDR habe er Zivilcourage gezeigt und dafür einen hohen Preis bezahlt: Zuerst die Entlassung aus seinem Amt, dann die erzwungene Flucht aus Dresden, schließlich die Aberkennung seiner Habilitationsschrift. »Aber nie verlor er seine Fröhlichkeit und Zuversicht, nie ließ er zu, dass die Angst zur Richtschnur seines Handelns wurde«, sagt Ingeborg Lüscher, die damals noch Ingeborg Löffler hieß. »Das ist ein Maßstab, so ein Vater!«
    Sie war ein geliebtes Kind, so sehr, dass bei ihr nie das Bedürfnis wach wurde, gegen ihre Eltern zu rebellieren, selbst dann nicht, als die gesellschaftliche Mode es verlangt hätte. Anders als fast alle Freunde und Bekannten sah sie ja keine Mängel an sich, für die sie ihre Eltern hätte verantwortlich machen können, im Gegenteil: Sie sah in ihnen einen Fundus, aus dem sie schöpfen konnte. Sie wollte sein wie sie. Und sie wollte eine Beziehung zu ihrer Tochter haben, wie sie eine zu ihrer Mutter hatte. »Eigentlich ist es so: Ich wollte Mutter werden, weil meine Mutter eine war.«
    Diese jubelnden Worte zur Mutterschaft kann ihre Tochter nicht nachvollziehen. Sie ist heute im beinahe selben Alter wie ihre Mutter bei ihrer Geburt. Doch auf Una Szeemanns imaginärer Liste der nicht zu verfehlenden Abenteuer fehlt bisher ein Kind: »Weil ich das Magische der Liebe zu einem Kind nicht kenne.« Und was sie nicht kenne, könne sie auch nicht vermissen. Bei diesem Thema und der kühlen Gründlichkeit, mit der sie Umstände und Wünsche abwägt, klafft eine Welt zwischen ihr und ihrer Mutter.
    Und dennoch: Was wäre, wenn? Una Szeemann lässt sich gerne auf solche Gedankenspiele ein, nicht um einen Kinderwunsch zu stimulieren, sondern um nachzudenken. Als gewissenhafter Mensch würde sie wohl sehr viel Energie in dieses Kind investieren. Und natürlich würde sie nach ihren Tessiner Erfahrungen sehr viel Gewicht darauf legen, wo das Kind aufwächst. Es gehe ihr nicht um Wurzeln, »denn Wurzeln können etwas Erstickendes haben«, sondern darum, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ermöglichen, also um das, was ihr außerhalb des Elternhauses fehlte. Aber dann stellt sie mit Entschlossenheit fest: »Ich sehs einfach nicht mit meinem Job.«

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