Liebe, lebenslänglich
Anruf des Angebeteten zu verpassen. Ihre Eltern organisierten gute Nachhilfelehrer, und dennoch war es unsicher, ob sie die Matur schaffen würde. Ein verständlicher Akt der Rebellion, findet Una Szeemann heute noch: »Dieses Schulsystem hat mich total angewidert. Die Lehrer waren miserabel. Viele wurden später entlassen.« Der Vater zeigte jedoch kein Verständnis. »Du machst die Matur«, sagte er und duldete keinen Widerspruch.
Beim Thema Schule gab es also Druck, doch im Nachhinein, sagt Una Szeemann, war das ein Glück. Wegen des drohenden Schulversagens schickten ihre Eltern sie nach England auf ein teures privates Internat. Und das war der Ort, wo sie zuerst ihre Balance wiederfand und dann sogar das Vertrauen in die Schule. Endlich wurde sie den verinnerlichten Zwang los, so sein zu wollen wie die anderen. »Das Internat in England war eine richtig schöne Zeit für mich. Da waren Jugendliche aus der ganzen Welt, und alle waren irgendwie speziell. Plötzlich war ich in einer Welt, in der es normal war, speziell zu sein.« Da habe sie erkannt, dass sich anzupassen oft heiße, der Angst nachzugeben. Auch der Unterricht machte ihr plötzlich Freude. »Die Lehrer dort wollten einem wirklich helfen. Hätte ich Kinder, ich würde sie in eine Privatschule geben.«
Von England brachte Una ein internationales Abitur mit Bestnoten nach Hause. »Ihr Zeugnis war so grandios, dass wir dachten, die sprechen nicht von unserer Tochter«, sagt Ingeborg Lüscher, doch der Vater habe nur trocken kommentiert, es sei Zeit geworden.
Da war die Mutter nicht zufrieden mit der Reaktion ihres Mannes. Denn in ihren Augen hatte Una schon am Tessiner Gymnasium nur wegen ihrer Brillanz versagt: »Sie war so hübsch, fix und witzig und hatte so viel psychologisches Gespür, dass sie von vielen Freunden und Freundinnen konsultiert wurde, wenn es Probleme gab. Sie war eine Instanz und verbrachte Stunden am Telefon, statt zu lernen.« Jetzt aber hatte Una in England enorm gearbeitet und nicht zuletzt, um ihrem Vater ihre Intelligenz zu beweisen, das sollte von ihm anerkannt werden, fand Ingeborg Lüscher. Doch Harald, sagt sie, brauchte ein bisschen mehr Zeit, Anschauungsunterricht und Qualitätsargumente – ein paar Ausstellungen, die er zusammen mit Una aufbaute, dann das eine oder andere Stipendium, das sie gewann, zum Beispiel das renommierte Schindler-Stipendium in Los Angeles, und natürlich ihre Arbeiten als Künstlerin, vor allem Foto- und Videoarbeiten –, um endlich sehen zu können, was sie, Ingeborg Lüscher, ja schon lange sah, »welch besonderes Kaliber Una nämlich ist«.
Als ihr Vater 2005 starb, war Una Szeemann 29 Jahre alt, und es gebe nichts, was zwischen ihnen ungesagt geblieben sei. Sie hat sich nach seinem Tod weiterentwickelt, und er hat diese Entwicklung nicht mitverfolgen können, das stimmt sie traurig. Sie wüsste gern, was er von ihren neuen Arbeiten hält. Das Thema »Individuelle Mythologien«, das ihn beschäftigte, das auch ihre Mutter beschäftigt, beschäftigt auch sie zunehmend.
»Wir spinnen alle in unserer Familie«, sagt sie und zeigt damit, dass sie sich frei gemacht hat von vorgesetzten Werten. Sie hatte einen Vater, mit dem sie als Erwachsene ihr Denken und ihre Sicht auf die Welt teilen konnte, und sie hat eine Mutter, mit der das eine Bereicherung ist.
Die beiden bestätigen einander gegenseitig und nehmen sich als Kritikerinnen ernst. »Ich mag die Arbeit meiner Mutter sehr«, sagt Una Szeemann. Und ihrer Mutter habe noch nie etwas grundsätzlich missfallen, was sie gemacht habe. Die Tochter sieht in der Mutter keine Rivalin. »Konkurrenzgefühle kenne ich nicht. Ich freue mich immer, wenn meine Mutter Erfolg hat«, sagt sie, und sie weiß, dass auch ihre Mutter sich freut über ihre, Unas, Erfolge.
Trotzdem sei es nicht einfach, sich als Kind berühmter Eltern behaupten zu können. Sie kenne viele, die irgendwie verkorkst seien. Sich selbst zählt sie nicht dazu. Sie will sich nicht beklagen, das widerspräche ihrem Selbstbild. Lieber erzählt sie, dass sie früh schon die besonderen Qualitäten ihres Elternhauses zu sehen gelernt hatte. Dass zum Beispiel die Arbeitswut ihrer Eltern, für die sie als Tochter ja einen Preis zu bezahlen hatte, auch mit Leidenschaft und Freiheit zu tun haben könnte, das habe sie »spätestens mit sechs« begriffen, sagt sie, und von da an wollte sie Künstlerin werden.
Die Schwierigkeit mit berühmten Eltern sei nicht, dass sie sich in der Kunstwelt
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