Liebe, lebenslänglich
Gewissheit gestärkt, dass Deutschland den Afrikafeldzug unter Rommel nur verloren habe, weil die Juden das Benzin ausgetauscht hätten. Das Empfinden, von der Welt betrogen worden zu sein, habe bei seinem Vater und seinen Freunden ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entstehen lassen. Man habe ein gemeinsames Feindbild gehegt, das nie revidiert werden musste, weil es erdacht war; man habe sich darin bestätigen können, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen. Es sei diese »Ermächtigung des kleinen Mannes, sofern er Deutscher ist«, die aus dem Nationalsozialismus überlebt habe. »Und das hat dazu geführt, dass mein Vater auch noch in den Sechzigerjahren auf Zustimmung stieß mit Sätzen wie dem, dass niemand ins Konzentrationslager gekommen sei, der sich nichts habe zuschulden kommen lassen.«
Bittet man Cord Riechelmann, konkrete Ereignisse aus dem Leben seines Vaters zu beschreiben, erinnert er sich zum Beispiel daran, dass sein Vater mit der Flinte in die Luft schoss, um Rocker zu vertreiben, die im Wald eine Party feierten. Und kaum hat er die Anekdote skizziert, ordnet er sie schon ein als »Gewalt, gepaart mit schlechtem Anarchismus«.
Sein Vater habe sich einen Sport daraus gemacht, andere Leute zu denunzieren. »Das konnte wegen einer im Wald angeblich umgestoßenen Verbotstafel sein. Mein Vater war bestimmt kein harmloser Mensch, er war ein autoritärer Charakter«, sagt Cord Riechelmann und zählt die dazugehörigen Merkmale auf: Ein autoritärer Charakter ducke gegen oben und trete gegen unten. Seine Unsicherheit tarne er mit Gewalt und seine Feigheit feiere er gegen außen als Tüchtigkeit. Cord Riechelmann klassifiziert seinen Vater, wie ein Biologe Tiere klassifiziert.
Bis heute reagiere er allergisch auf jeden autoritären Charakter, er übersehe keinen. Kürzlich traf er an der Universität als Dozent auf Studenten, für die er die Formel »Männer, die noch nicht fertig sind« aufstellte. »Eine neue, überraschende Spezies. Sie waren erwachsen, aber unsicher und schämten sich nicht dafür, sie machten keine sexistischen Witze, ihre Bewegungen waren fein und ohne Imponiergehabe.« Er war komplett begeistert. Da wächst ein Gegentyp zu seinem Vater heran.
Cord Riechelmann hat seinen Vater typisiert und als Vertreter einer hässlichen Art von Mensch abgeheftet. Ganz losgeworden ist er ihn dennoch nicht. Er ist indirekt präsent, wenn er seinen Bruder besucht. Der ist mit achtzehn Jahren schizophren geworden und lebt seither in einer Klinik. Cord Riechelmann ist überzeugt, dass ein warmes Elternhaus der Krankheit seines Bruders etwas hätte entgegensetzen können. Er ist sein Vormund. Von Zeit zu Zeit haut sein Bruder aus der Klinik ab. Er werde dann jeweils informiert und nehme das als gute Nachricht auf. »Er lehnt sich auf, ein Lebenszeichen.«
Auch wenn er seinen eigenen Erziehungsstil beobachtet, kann Cord Riechelmann nicht verleugnen, dass die eigene Erziehung Spuren hinterließ: »Ich bin leider total antiautoritär. Ich kann einem Kind nichts verbieten. Ich bin der Vater, von dem man alles haben kann, dem man alles sagen kann und der das auch noch gut findet.«
Noch einmal frage ich Cord Riechelmann, wer sein Vater für ihn gewesen sei. »Kann ich nicht sagen. Er ist seit 23 Jahren aus meinem Leben verschwunden.« Knapp weiß er, wann er geboren wurde. »Ich glaube, das war 1935.« Knapp weiß er, in welchem Alter er starb. »War er 75?« Am Ende litt sein Vater unter Demenz, das weiß er auch, doch erlebt hat er ihn nicht in diesem Zustand.
Er hat nie nach der traurigen Geschichte gesucht, die vermutlich hinter der Person seines Vaters steckt: »Ich hatte nie das Bedürfnis.« Er ist überzeugt, dass jede Annäherung gescheitert wäre: »Mit meinem Vater konnte man nicht reden.« Auch mit seiner Mutter hat er das Gespräch über ihn nicht gesucht: »Ich hatte nie das Bedürfnis.« Auf der Beerdigung seines Vaters wollten sich dessen Freunde mit ihm über den Verstorbenen unterhalten. Cord Riechelmann hörte zwar zu, aber nur pro forma. »Ich merkte, es kommt gar nicht bei mir an.« Er kann sich vorstellen, worum es in ihren Erzählungen ging: »Etwa darum, wie sie in Namibia ein Warzenschwein geschossen und danach so wunderbar am Lagerfeuer gesessen und über die Jagdgebräuche im neunzehnten Jahrhundert gesprochen hatten. Solche Geschichten mag ich nicht.«
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