Liebe, lebenslänglich
für den Beruf des Schauspielers entschied und nicht zum Beispiel fürs Malen, hatte insofern mit seinem Vater zu tun, als er einen Ort suchte, wo er den Vergleich mit ihm nicht scheuen musste, weil es ihn nicht gab.
Als die Ehe seiner Eltern sich in einen zähen Krieg verwandelte, nahm Arne das mit Überraschung zur Kenntnis. Heike und Rainer waren in seinen Augen immer ein perfektes, elegantes Paar gewesen, das zusammen Bridge spielte oder Tennis. Dass öfter mal eine arktische Atmosphäre zwischen ihnen herrschte, war ihm zwar nicht entgangen. Die Scheidung überraschte ihn dennoch, erschien ihm allerdings die vernünftigste Reaktion. Fünf Jahre früher hätten ihn wohl noch Untergangsängste befallen, sagt er, weil die Familie für ihn trotz allem eine Insel in einem feindlichen Ozean war. Jetzt, nach dem Abitur, war er dabei, sich in seiner neuen Freiheit einzuüben. Er blickte nach vorn und hatte kein Verständnis für seine Mutter, die haderte. Nach Jahren, in denen sie sich viel zu stark um ihn gekümmert hatte, waren die Rollen plötzlich vertauscht: Jetzt hätte sie Zuneigung brauchen können. Doch auch die geänderten Vorzeichen brachten ihre Beziehung nicht wieder ins Lot.
Arne wohnte damals noch zu Hause, und es konnte ihm nicht entgehen, dass seine Mutter litt. Einmal sah er sie heulend auf dem Bettrand sitzen. Das war zwar schlimm, aber konnte er darauf Rücksicht nehmen? Nein, lautete damals seine Antwort. Heike hatte geheiratet, Kinder bekommen, sie großgezogen, nun stand die Scheidung an. Come on, der Lauf der Dinge. Seine Mutter war nicht fit für den Wandel, not ready for the new thing, was wollte er ihr da helfen.
Die Ehrlichkeit von Kindern ist oft schonungslos, aber auch ahnungslos und darum erträglich. In der Jugend schlägt sie in brutale Härte um. Heike Schmidt hatte gehofft, dass ihre Söhne sich gegen eine Trennung wehren würden. Doch beide verhielten sich, als seien sie unbeteiligt. Sie erinnert sich, wie Arne sie eines Abends weinen sah. Sein Gesicht zeigte einen Widerwillen, der an Verachtung grenzte, und er sagte: »Ich weiß nicht, was du hier noch willst.« Das war hart – und hilfreich.
Denn sie war in eine Spirale von Selbstmitleid und Selbstbeschuldigungen geraten. Ihre Ehe war zwar schon seit einiger Zeit keine Idylle mehr, aber ihre Routinen funktionierten noch – jahrelang stieg und fiel ihr Wohlbefinden mit demjenigen ihres Mannes. Geht es Rainer gut, geht es mir gut, war ihre Devise. Sie ließ zu, dass seine Stimmung alle dominierte. Hatte sie ein Problem, etwa mit den Kindern, sagte Rainer: dein Problem. Und sie akzeptierte das. Zwar hatte sie viel und gern geredet, doch heikle Themen immer vermieden. Und nun lag ihre Ehe definitiv in Trümmern, sie konnte die Fassade nicht mehr aufrechterhalten. Ihre Söhne, die Sonnen ihres Lebens, verließen sie ebenfalls. Und in dieser aufgewühlten Verfassung knallte Arne es ihr nochmals hin: So ist es. Beweg dich.
Das tat sie dann auch. Sie verkaufte das Haus, nahm sich eine schöne Altbauwohnung in der nahen Stadt und begann, Psychologie zu studieren.
Arne Schmidt mied jetzt die Mutter. Er verbrachte viel Zeit mit Rainer. Und mit der Nähe wuchs die Fähigkeit zur Distanz. Er entdeckte Seiten an seinem Vater, die er bei sich nicht weiter kultivieren wollte. Bei aller Lockerheit zeigte Rainer sich zum Beispiel als ein Verlierer, der dem Sieger eine Niederlage nicht verzieh. Und Arne stieß bei seinem Vater hinter all den Funken heiteren Esprits auf eine grundlegende Barriere. Eine Zurückhaltung, die nicht zu überwinden war, auch nicht für den eigenen Sohn. Sein Vater scheine über eine eingebaute Kammer zu verfügen, in die er sich zurückziehen könne. Das ist Arne nicht fremd. Allerdings, sagt er, habe er keine Familie gegründet, bei deren Mitgliedern die väterliche Distanz notwendig Enttäuschung provozieren müsse. Arne konnte allmählich nachvollziehen, warum seine Mutter bei der Erwähnung des Vaters manchmal mit Wut reagierte.
Es ist heute 24 Jahre her, dass Heike ihn fragte, ob er bereit wäre, ihr als Testperson für eine Semesterarbeit in ihrem Psychologiestudium zu dienen. Er überlegte und sagte zu. So kamen sie nach einem über dreijährigen Schweigen wieder ins Gespräch. Und Arne Schmidt stellte zum ersten Mal fest, dass er mit seiner Mutter reden konnte. Anders als mit seinem Vater zwar. Abstraktionen lasse sie nicht gelten, am besten werde man persönlich, klar, konkret: »Sie widerspricht und
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