Liebe, lebenslänglich
Schwangerschaft kaum wahr. Erst als das Neugeborene in ihren Armen lag, begriff sie, was los war. »Es ist unfassbar. Ich glaube wirklich, ich war überrascht, dass dieses Kind da war und dableiben würde«, sagt sie heute. Ihre Mutter hatte ihr klargemacht, dass sie mit ihrer Hilfe nicht rechnen könne. Marlene Nowak heiratete und zog zur Familie ihres Mannes.
Da saß sie nun zwischen Kind und Schwiegermutter, während ihre Freunde studierten und sich treiben ließen. Sie merkte bald, dass es ihr unmöglich war, zufrieden zu sein, nur weil sie ein Dach über dem Kopf und genug zu essen hatte. Sie dachte über Fluchtmöglichkeiten nach.
Im Januar 1988 reisten sie und ihr Mann aus dem polnischen Danzig über Dänemark nach Deutschland aus. Sie kamen zuerst in ein Aussiedler-, dann in ein Übergangslager, später in eine Wohnung in Berlin. Marlene Nowak sprach kein Wort Deutsch. Ihr polnisches Abitur wurde nicht anerkannt, sie hatte weder Ausbildung noch Freunde. Sie hatte nur einen acht Jahre älteren Mann, der sich als nicht zuverlässig erwies, und ihre Tochter Adriana, ein Jahr alt und zehn Monate.
Wann immer sie kann, besucht Adriana Nowak ihre Mutter, die heute in Brüssel wohnt. »Sie ist für mich die wichtigste Person geblieben.« Derzeit sind die Besuche seltener. Adriana Nowak ist heute 27 Jahre alt, verheiratet mit einem Investmentbanker, sie leben in Houston, Texas. »Die Beziehung zu meiner Mutter leidet deswegen nicht«, sagt sie. Sie hätten so viel zu zweit erlebt, dass ihre Nähe unzerstörbar sei. Sie empfindet ihre Mutter als starke Persönlichkeit und als sehr bestimmend. Sie ist stolz auf sie, weil sie eine äußerst schwierige Zeit souverän gemeistert und ihr gezeigt habe, dass man sein Leben ändern könne: »Meiner Mutter geht es heute gut.«
Adriana Nowak mag den neuen Mann ihrer Mutter. Er verkörpere das Gegenteil ihres Vaters. »Der hat in seinem Leben nichts anderes zustande gebracht, als meine Mutter zu schwängern – was jetzt aus meiner Perspektive kein Unglück ist.« Der Neue, mit dem ihre Mutter schon dreizehn Jahre zusammen ist, strahle Sicherheit aus, er ärgere und freue sich über sie, und wenn sie ihn brauche, sei er für sie da. Er verhalte sich wie ein Vater, also betrachte sie ihn als solchen, sie bewerte die soziale Vaterschaft höher als die biologische.
Adriana Nowak hat jetzt die Familie, nach der sie sich eine Kindheit lang sehnte. »Ich bin ein Familienmensch«, sagt sie. Sie erinnert sich, dass sie bei ihrer Mutter immer um ein Geschwister gebettelt hat. Als vor sieben Jahren ihr Halbbruder Alexander zur Welt kam, war er wie ein Geschenk. »In der ersten Zeit kümmerte ich mich so sehr um ihn, dass manche Leute sagten, Alexander habe zwei Mütter.« Bis heute backt Adriana die Torte, wenn er Geburtstag hat, und organisiert die Party.
Sie freut sich für ihren Bruder, dass er in intakten Verhältnissen aufwachsen kann. Ihre eigene Kindheit? »Es gab gute und schlechte Erfahrungen.« Die guten hängen mit ihrer Mutter zusammen, der sie auch äußerlich ähnlich ist. Die schlechten mit dem Vater. Wenn sie sich an ihn erinnert, sieht sie eine vollgequalmte Wohnung und einen Mann, der manchmal schon am Nachmittag im Sessel versackt, mit einer Bierflasche in der Hand. Sie fühlte sich von ihm verraten, als sie zehn Jahre alt war und ihre Mutter sich von ihm getrennt hatte. An seinen Besuchstagen tauchte er oft nicht auf. Falls doch, versuchte er sie später von ihrem Treffpunkt beim Jugendamt aus nach Hause zu verfolgen, um die neue Adresse seiner Exfrau zu erfahren.
Heute denkt Adriana Nowak kaum noch an ihn. Sie spürt nicht einmal Hass, obwohl sie glaubt, dass sie ihre Verlustängste von ihm hat: »Weil ich wusste, dass ich auf ihn nicht zählen kann, war Marlene umso wichtiger für mich. Ich hatte nur sie.« Wenn ihre Mutter alleine joggen ging, hatte sie Angst. Wenn ihre Mutter sagte, sie sei um elf zu Hause, telefonierte sie ihr spätestens zehn nach elf hinterher. Das geringe Vertrauen in andere und damit in sich selbst habe sie auch in ihre inzwischen zehnjährige Partnerschaft getragen. Sie wollte ihrem Mann immer die perfekte Freundin sein und überraschte ihn während Jahren mit kleinen Geschenken. »Und wenn wir Streit hatten, heulte ich, weil ich überzeugt war, er verlässt mich.«
An ihrem Platz im Herzen der Mutter hingegen zweifelte sie nie. »Sie war immer liebevoll. Es gibt nichts, was ich Marlene nicht verzeihen könnte.« So verzeiht sie ihr
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