Liebe, lebenslänglich
meiner Mutter befreit.« Sie habe sie hilflos erlebt wie nie zuvor. Und gemerkt, dass ihre starke Mutter ihr nicht helfen könne, nur sie selbst.
Seither tut sie auch Dinge, von denen sie weiß, dass sie dafür nicht mit der mütterlichen Billigung rechnen kann. Als sie etwa kürzlich am Telefon erzählt habe, dass sie sich einen Hund anschaffen wolle, sei ihre Mutter sofort ausgetickt. »Nein, das kannst du nicht machen, was willst du mit einem Hund, einen Hund kannst du haben, wenn du in Rente gehst.« Früher hätte sie das wohl abgehalten. »Jetzt ließ ich mich davon nicht mehr beeindrucken. Chester gehört jetzt zu mir, und ich liebe ihn abgöttisch.«
Trotzdem gelingt es ihrer Mutter immer noch, ihr Dämpfer zu versetzen. Adriana Nowak arbeitet derzeit in einem Fitnessstudio. »Mir macht das Spaß, aber Marlene gefällt das überhaupt nicht. Und das sagt sie sehr klar.«
»Ja, das ärgert mich maßlos«, sagt Marlene Nowak. Adriana habe nicht studiert, um sich in der amerikanischen Provinz Steppaerobic-Choreografien auszudenken. Dafür müsse sie nicht fünf Sprachen sprechen. »Dafür braucht sie weder Russisch noch Polnisch, Deutsch oder Französisch, ja nicht mal Englisch«. Dafür hätte sie nicht als ErasmusStudentin nach Lille gehen müssen. Dafür habe ihr Ehemann sich nicht um einen Praktikumsplatz in Finnland für sie bemüht. »Nein, ich bin wirklich sauer.« Sie sage ihrer Tochter immer wieder, dass sie an sich denken müsse, dass sie nicht blind der Karriere ihres Ehemannes folgen dürfe.
Die Ratschläge ihrer Mutter gingen ihr manchmal auf die Nerven, sagt Adriana Nowak. »Sie macht mir die Hölle heiß, dass ich mich um meine Zukunft kümmern soll.« Doch sie wisse heute, dass sie überall glücklich sein werde, solange sie ihre Familie hinter sich habe. Und dass ihre Mutter sich so aufrege, sei für sie gleich doppelt gut: »Ich spüre meine Unabhängigkeit. Und ihre Sorgen zeigen mir, dass sie wirklich hinter mir steht.«
Die Namen in diesem Text wurden geändert.
HINTER GITTERN
Nichts hätte die beiden einander so nahe bringen können wie das Gefängnis von Straubing. Dort sitzt Bence Toth junior (37), weil er seine Tante getötet haben soll. Und sein Vater, Bence Toth senior (65), kämpft seit dem Tag des Urteils um den Beweis der Unschuld seines Sohnes.
Die Begegnungen mit Bence Toth und seinem Sohn gleichen Namens waren überraschend heiter.
Bence Toth senior traf ich im Augustiner Biergarten in München, und das Bier mag zur wechselhaften bis guten Stimmung beigetragen haben.
Bence Toth junior traf ich in einem fensterlosen Raum im Hochsicherheitsgefängnis Straubing. Meine Vorstellung lief auf einen Mann hinaus, der hätte blass sein müssen, gedämpfte Gesten, belegte Stimme. Sieben Jahre hinter unüberwindbaren Mauern müssen einen Menschen formen, erst recht, wenn erfreuliche Aussichten fehlen, denn gemäß Gerichtsurteil wird er lebenslang hier sitzen. In einem der spektakulärsten Mordprozesse Münchens – 93 Verhandlungstage, fünfzehn Monate Sitzungsmarathon, Proteste im Saal, Hungerstreik des Angeklagten – wurde Bence Toth für schuldig befunden, seine millionenschwere Tante mit 24 Hieben auf den Kopf erschlagen zu haben. Die Frage, womit er zugeschlagen haben könnte, blieb offen, nicht aber die des Motivs: Habgier.
Blass und schmal war Bence Toth dann tatsächlich, jedoch nur äußerlich. Seine schwarzen Kleider unterstrichen auch seine Wachheit, seine Lebendigkeit und seine immer wieder aufbrausende, lautstarke Wut über die bayrische Justiz und über die Zustände im Gefängnis, eine Wut, die er mit Selbstironie zu zähmen weiß: »So, das wäre mal wieder die obligatorische Tirade gewesen.«
Er kann lachen, nicht zuletzt über sich selbst. Er versucht, den Umständen mit Disziplin und einem privaten Glück im Kopf zu trotzen. Er übt Saxophon und Bass: »Eine Fuge von Bach zu spielen, das ist ein Kissen für die Seele.« Er lernt Japanisch und hofft auf die Bewilligung, sich ein Italienisch-Lehrbuch kaufen zu können und einen Fernkurs in Wirtschaftswissenschaft: »Wenn ich schon dumm geboren bin, will ich wenigstens nicht dumm sterben.« Er liest viel Philosophisches, derzeit die Kritik der reinen Vernunft – und wenn er den Ausführungen Immanuel Kants nicht immer folgen kann, dann liegt das seines Erachtens auch am Gefängnis: »Ich mache mir keine Illusionen, ohne veritablen Haftschaden kommt man nicht davon. Wenn ich die transzendentale Deduktion
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