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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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auch die wortkarge Selbstbeherrschung. Sie leidet zwar manchmal darunter, hat aber eine Erklärung dafür: »Sie war ein abgeschobenes Kind, war oft bei ihrer Oma, weil ihre Mutter sie nicht haben wollte.« Vielleicht habe sie sich darum antrainiert, Härte zu zeigen.
    Auch wenn Marlene Nowak ihrer Tochter zustimmt, dass die Erfahrungen ihrer Jugend sie Härte lehrten, sieht sie nicht hart aus. Im Gegenteil. Sie hat tiefbraune Augen, braune, lockige Haare und wirkt wie eine Blume, bewundert und genährt. Tatsächlich ist sie eine Kämpferin. Sie hat um die Liebe ihrer Mutter gekämpft, um die Befreiung von ihrer Schwiegermutter, um die deutsche Sprache, um das Diplom als Physiotherapeutin, um die Scheidung und um gute Schulen für die Tochter. Heute kämpft sie um mehr Gelassenheit. »Mit mittelmäßigem Erfolg«, sagt sie, »doch ein bisschen weicher bin ich schon geworden.«
    Als Adriana geboren wurde, nahm sie sich vor, alles anders zu machen als ihre Mutter, die sie oft alleine gelassen und ihr täglich zu verstehen gegeben hatte, dass sie sie störte. Und die sie als Konkurrenz sah: »Sie wollte die Blicke für sich, die zunehmend mir galten.« Adriana durfte ihre Großmutter nie Oma nennen, denn als Oma sah sich Marlenes Mutter zuletzt. Sie habe sich und ihr Verhalten nie infrage gestellt. »Sie fand sich immer tadellos.« Vor drei Jahren brach Marlene Nowak den Kontakt zu ihr ab.
    Sie denkt ohne Schonung über sich und ihre Tochter nach. So sucht sie auch die Gründe für Adrianas Ängste bei sich, obwohl Adriana den Vater verantwortlich macht. Sie habe sich in der Beziehung zu Adriana ganz auf das Verbindende konzentriert. »Sie sollte all das bekommen, was ich als Kind vermisst hatte.« Sie ließ ihre Tochter nie allein. Sie spielte mit ihr, bastelte, las ihr Bücher vor. Sie lud andere Kinder ein, damit ihre Tochter nicht als einsames Einzelkind aufwuchs. Sie brachte sie zum Schlittschuhlaufen und in den Schwimmclub, weil sie nie still stand: »Es war anstrengend. Heute würde Adriana wahrscheinlich als hyperaktiv eingestuft werden. Damals machte ich mir keine Gedanken.« Marlene Nowak umsorgte ihre Tochter nonstop, obwohl sie sich eingestehen musste, dass sie gern mehr allein gewesen wäre. Sie habe sich bemüht, diesen Wunsch vor Adriana zu verbergen. »Aber unterschwellig habe ich es ihr wohl doch vermittelt, das geht ja gar nicht anders.«
    Ihre erste Ehe war von Beginn an ein Fehler. Ihr Mann kümmerte sich weder um sie noch um die Tochter. Doch sie simulierte, wohl auch Adriana zuliebe, zehn Jahre lang Familienleben. Ein unhaltbarer Zustand, dennoch denkt Marlene Nowak, dass Adriana unter der Scheidung gelitten hat. Sie spürte, dass ihre Tochter eine harte Zeit hatte, als ihr das Desinteresse ihres Vaters klar wurde. »Dennoch habe ich deswegen nie das Gespräch mit ihr gesucht. Ich war sogar froh, dass sie nicht darüber sprach. Das würde ich heute anders machen.«
    Die Schuldgefühle wurden nicht geringer dadurch, dass sie nach der Scheidung auflebte. Sie fühlte sich jung und hungrig. Sie hatte Arbeit, verdiente Geld, bekam Anerkennung von allen Seiten. Sie hatte schnell viele Freunde und einen neuen Mann. Wenn sie über Silvester zum Skilaufen fuhren oder für ein Wochenende auf einen Bauernhof, war Adriana zwar immer dabei. »Trotzdem war sie oft auf sich gestellt. Ich weiß nicht, ob es Egoismus war oder fehlendes Einfühlungsvermögen, wahrscheinlich beides, aber mein Verhalten glich damals dem meiner Mutter.«
    Marlene Nowak analysiert auch ihre Gefühle für ihre Tochter mit Nüchternheit. Hier sei es am schwierigsten, dem Schatten ihrer Mutter zu entkommen. »Die Frage stellt sich, was ich bei meiner eigenen Tochter an die Stelle der offenen Abneigung gesetzt habe, die meine Mutter mir entgegengebracht hat.« Ihr Verdacht ist, dass sie die Zuneigung zu Adriana eher organisierte als spürte. »Das Emotionale war gestört. Ich konnte meine Liebe nicht zeigen. Auch körperlich nicht. Ich habe sie wenig in den Arm genommen.«
    Sie fragt sich heute oft, warum ihr das mit Adriana schwergefallen ist und jetzt mit dem Sohn leichter fällt: »Denn ich liebe sie ja nicht weniger als Alexander.« Vielleicht sei die Verletzung, die sie von ihrer Mutter erfahren habe, so tief, dass sie sich stellvertretend an ihrer Tochter zu rächen versuchte. Vielleicht habe es damit zu tun, dass Adriana die Tochter eines Mannes sei, den sie nie geliebt habe. Wie auch sie, Marlene, die Tochter eines Mannes sei, den

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