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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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der seine Mutter ihn als entscheidungs- und durchsetzungsschwach empfindet, bewertet er ganz anders, als Zeit des Wachwerdens: »Erst da habe ich zu mir gefunden.« Und das heißt für ihn, dass er sich heute vom Zwang befreit sieht, anderen zu gefallen und einem falschen Bild zu entsprechen. Und dass er den Mut hat, Fehler zu machen. Immer noch sei er auf den Zuspruch von Freunden angewiesen, aber er sei bereit, seinen Weg zu gehen. Das ist für ihn eine Frage der Selbstachtung.
    Auch sagt William Krause, dass er erst in diesen – in den Augen seiner Mutter verlorenen – Jahren jene Eigenschaften entwickelte, die er wohl von seiner Mutter geerbt habe. Auf die Frage, was ihn mit seinen Eltern verbinde, hätte er früher wohl geantwortet, dass er die Gelassenheit und das Harmoniebedürfnis seines Vaters und seines Stiefvaters geerbt habe. »Heute kann ich fortfahren und mit Fug und Recht behaupten: Und das Selbstbewusstsein und die Konfliktbereitschaft von meiner Mutter.«
    William Krause erzählt noch mehr, das seine Mutter freuen dürfte: Zum Beispiel, dass die Art, wie sie nach ihrem Unfall aufgetreten sei, in ihm nachhalle. Seine Mutter habe sich nicht unterkriegen lassen. Je mehr es nach einer Niederlage aussehe, desto stärker wehre sie sich. Ihr Kampfgeist imponiert ihm und macht ihm Mut: »Ich glaube, davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden. Wenn sie es kann, kann ich es doch auch, schließlich bin ich ja ihr Sohn.«
    Und er zählt auf, was seine Mutter dem Schicksal entgegengesetzt hat: Das Studium, nachdem sie gezwungen worden war, ihren Beruf als Krankenschwester aufzugeben. Die Arbeit als Dozentin für Pflegeschüler. Ihre Tätigkeit als Seminarleiterin. Ihr Buch über Brandverletzungen, das Opfern und Angehörigen hilft und heute bei der Krankenpflegeausbildung benutzt wird. Die Gründung des Bundesverbandes für Brandverletzte, deren Vorsitzende sie ist. Dafür sei sie sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden, sagt er, und in seiner Stimme schwingt Stolz mit.
    William war sechzehn, als der Unfall geschah, in einem Alter, in dem man äußere Veränderungen nicht mag, weil im Innern rasende Entwicklungen stattfinden. Es war ein gewöhnlicher Tag. Seine Mutter war auf dem Weg zum Nachtdienst, er lag im Bett. Er erinnert sich noch genau, wie sein Stiefvater ins Zimmer kam und ihm mitteilte, seine Mutter schwebe in Lebensgefahr. »Das ist der Augenblick«, dachte er sofort, »der alles trennt in ein Vorher und ein Nachher.« Würde er wieder an die Ostsee ziehen müssen, nach Niendorf, zu seinem leiblichen Vater?
    Drei Tage lang wusste niemand, ob seine Mutter überleben würde. Die Verbrennungen dritten Grades hatten 22 Prozent ihrer Haut zerstört, dazu kamen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, eine Rauchgasvergiftung und eine komplizierte Lungenverletzung. Nach sechs Wochen wachte sie aus dem künstlichen Koma auf. Baum, Unfall, Feuer, Flammen, irgendwie muss sie aus dem brennenden Auto herausgefunden haben. Sie konnte sich an nichts erinnern.
    Sein Stiefvater hatte ihn vorbereitet. Dennoch erkannte William seine Mutter beim ersten Besuch im Krankenhaus nicht. Er erinnert sich, dass sie manchmal einfach losheulte, als sie wieder zu Hause war. Empfindlich und dünnhäutig sei sie geworden. Die Stiefoma habe sich um den Haushalt gekümmert, er selber sei irgendwie durch die Schule gekommen. Und er erinnert sich an seine Scham, etwa beim Dorffest. Seine Mutter habe sich nicht versteckt. Obwohl ihre Narben noch ganz frisch waren, ging sie auf die Menschen zu und begrüßte sie mit »Hurra, ich lebe noch!«. Dann seien sie gemeinsam in den Urlaub gefahren. Unter Fremden habe ihm das Aussehen seiner Mutter weniger zu schaffen gemacht.
    Petra Krause-Wloch erinnert sich, dass William sie nach dem Klinikaufenthalt mit den Worten begrüßte: »Sei mir nicht böse, aber du siehst aus wie Frankensteins Braut.« Sie erinnert sich, wie schwer es für sie war, wieder ihren Platz zu finden in der Familie. Sie wollte sich nützlich machen, trotz und wegen ihres Handicaps. Doch die durch den langen Krankenhausaufenthalt abgebauten Muskeln und die Verbrennungen schränkten sie ein. Sie war schwach, und ihre Schwiegermutter war stark: »Sie war typisch für ihre Generation, die mit einer unzerstörbaren Energie den Krieg, die Flucht, alles Mögliche überstanden hatte. Diese Frau war gewohnt, die Zügel an sich zu reißen.« Petra Krause-Wloch vergleicht sie mit einem Mafiaboss, der seine Herrschaft

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