Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
irgendetwas auf der anderen Seite verfangen. Ich ziehe ein bisschen fester und höre im nächsten Moment eine Kinderstimme »Nein!« rufen.
»Hallo, Kleiner, du da hinter dem Vorhang. Meinst du, wir könnten kurz einen Blick in euren hübschen Garten werfen?«
»Nein!«, wiederholt er.
»Bitte«, sage ich und zerre wieder an dem Vorhang.
Es raschelt hinter dem Stoff, bis der Kopf eines kleinen Jungen zum Vorschein kommt. Zwei Dinge fallen sofort an dem Kind auf. Das eine ist der grüne Rotz, der ihm aus der Nase läuft, das andere ist groß und weiß und an seinem Kopf befestigt.
»Was hast du denn da auf dem Kopf?«, fragt Posh Boy mit einer Stimme für unter Dreijährige.
Wir starren alle darauf. Es sieht aus wie ein schlampiger Verband, aber dann, gerade als ich sagen will »Oh, hast du dir auch den Kopf angeschlagen, so wie ich?«, dämmert mir, dass das gar kein Verband ist, sondern eine Binde. Zum Glück ist sie sauber.
Dies hier hätte einen Platz in den Top Ten meiner beschissensten Besichtigungen verdient.
Wir trotten zurück in die Diele.
»Wir gehen jetzt wieder. Ich rufe Sie nachher an«, sage ich in sanftem Ton zu Claire auf dem Weg nach draußen.
Sie nickt, und ich bringe die Hammonds zu ihrem Wagen, bevor ich zurück zu Claire laufe, die in der Tür steht und ins Leere starrt.
»Alles in Ordnung, Claire?«, frage ich leise.
»Nein«, antwortet sie mit erstickter Stimme. »Er hat mich verlassen, für seine Masseurin. Ich muss unbedingt die Wohnung verkaufen, ich muss hier so schnell es geht raus.« Sie klingt verzweifelt.
Ich starre diese schöne, gebrochene Frau an, und am liebsten würde ich sie an mich drücken, aber sie hat immer noch das Baby an der Schulter.
»Das tut mir sehr leid«, sage ich leise.
Und das stimmt. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen. Ich male mir aus, wie ich mich fühlen würde, wenn Dan mich verließe. Ich wäre verloren. Und das auch ohne eine Horde Kleinkinder, die auf mich angewiesen sind.
Claire sagt nichts, sondern beginnt einfach zu weinen. Dann fängt das Baby auch an. Sie schenkt mir ein trauriges, entschuldigendes Lächeln und schließt die Tür.
Posh Boy steht noch in der Einfahrt und überprüft seine Schuhsohlen. Er hebt den Kopf, als ich vorbeigehe.
»Tja, das war wohl ganz großer Mist«, sagt er, und es hört sich fast begeistert an.
Was kann ich sagen? Nichts. Das war großer Mist, und ich wünschte, er wäre nicht dabei gewesen und hätte alles mitbekommen.
20
»Scheiße, Mann, was ist denn mit Ihnen passiert?«
Heute gibt es keinen Toast und keine Haribos, also habe ich ihre volle Aufmerksamkeit.
»Ich bin überfallen worden.«
»Nein! Wo denn?«
»Auf der Harrow Road.«
Ich sollte das auf eine Karte oder ein T-Shirt drucken lassen, echt wahr.
»Gibt’s doch nicht, Mann.«
»Ist er da, Ihr Chef?«
»Ja, aber er hat gerade jemanden hinten bei sich drin.« Sie beugt sich zu mir vor und verengt die Augen zu Schlitzen. »Wie sahen die Typen denn aus?«
Das ist eine originelle Frage, das muss ich ihr lassen.
»Keine Ahnung. Sie sind ziemlich schnell gerannt. Zwei Jungs, nicht sehr groß. Ich habe sie nur von hinten gesehen. Sie hatten ihre Kapuzen auf.«
»Was haben sie mitgehen lassen?«
»Nur meine Handtasche. Eine große violette Tasche von Primark. Können Sie mir sagen, wie lange das noch dauern wird?«
»Ne. Große Scheiße, nicht?«
»Ja, allerdings.«
»Wo denn genau auf der Harrow Road?«
»In der Nähe der Abendapotheke.«
Sie schnappt nach Luft. »Sie wollten sich die Pille danach besorgen, und dabei hat man Ihnen die Handtasche geklaut?«
»Genau.«
»Das ist so was von scheiße.«
»Ja.«
»Scheiße. Eigentlich darf ich das ja nicht, aber …«
Sie holt eine Tüte mit buntem Konfekt unter der Theke hervor und bietet es mir an. Ich greife hinein und erwische einen zappelnden Wurm. Das hat man davon.
»Danke.« Ich lächle.
»Ich hoffe bloß, dass das nicht mein Bruder war«, sagt sie mit vollem Ernst.
Ich habe keinen Bruder, ganz zu schweigen von einem, der Straßenräuber ist, deshalb weiß ich wirklich nicht, was ich sagen soll. Ich mache ein Iiih!-Gesicht und hoffe, dass das reicht.
»Ihr Macker ist ein ziemlich heißer Typ, stimmt’s?«, sagt sie.
»Ich liebe zappelnde Würmer«, sage ich, bevor ich ihm den Kopf abbeiße. Dem Wurm natürlich, nicht Danny.
Der Apotheker kommt nun aus seinem Hinterzimmer mit einer Frau mittleren Alters. Beide sehen zu mir, und die Frau geht an die Theke,
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