Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
»Das Stück kennt kein Schwein. Er hätte besser einen Publikumshit gewählt.«
Sie kennt den Song nicht, aber ich schon. Es ist Because the night von Patti Smith. Es geht darum, dass die Nacht für Sex und Lust und Liebespaare ist. Ich kenne den Song gut, weil er auf der Hochzeit meiner Eltern gespielt wurde. Es ist schon Jahre her, dass ich ihn das letzte Mal gehört habe.
Ich wünschte, ich wäre bei der Hochzeit meiner Eltern dabei gewesen. Streng genommen war ich das auch, aber da ich mich damals noch im Mutterleib befand, kann ich mich nicht an viel erinnern. Nach allem, was ich gehört habe, scheint es eine richtige Rock-’n’-Roll-Party gewesen zu sein. Die Eltern des Brautpaars blieben fern, weil sie die Heirat nicht befürworteten, also dachten sich Mum und Dad, scheiß auf sie, feiern wir eben nur mit unseren Freunden. Sie wurden auf dem Standesamt in Ealing getraut und gingen anschließend in den hübschen Walpole Park. Es waren um die dreißig junge Leute, und jeder Gast war gebeten worden, etwas Alkoholisches, etwas für das Picknick und einen Partybeitrag mitzubringen. Dads Partybeitrag war als Erstes dran. Er sang für meine Mutter ein Stück von John Denver mit dem Titel Annie’s Song . Der Text ist schlicht und schön: Come let me love you, let me give my life to you. Let me drown in your laughter, let me die in your arms . Die Freunde meiner Eltern erzählten mir später, dass selbst die männlichen Hochzeitsgäste zu Tränen gerührt waren, als mein Vater für meine Mutter sang. Mum revanchierte sich anschließend mit diesem Stück von Patti Smith, das sie auf einem alten Kassettenrekorder abspielte, während sie einen kleinen Verführungstanz für Dad aufführte. Offenbar war meine Mutter eine ganz heiße Braut zu ihrer Zeit.
Ich beobachte Anton auf der Bühne. Er ist gut. Sein Gesang erinnert an Bruce Springsteen. Es überrascht mich nicht, dass er gestern in der Show weitergekommen ist. Ich schaue mich um. Die Leute wackeln mit den Köpfen, klopfen mit den Füßen im Takt und lächeln. Dann sehe ich wieder zur Bühne, und ich muss sagen, Anton ist sexy. Ich stelle mir vor, dass ich wieder in seinem Bett liege, aber dieses Mal mit ihm. Oje, sieht so aus, als wäre ich ein bisschen in Anton verknallt.
Wendy tätschelt mein Knie.
»Wow! Er ist spitze!«
Als Anton zum Ende kommt, bricht großer Beifall aus.
»Ich danke euch«, sagt er in das Mikrofon. »Tja, Leute, die letzten vierundzwanzig Stunden waren ein Wechselbad der Gefühle. Wie einige von euch vielleicht wissen, bin ich gestern Abend mit einer Lady namens Fran Basso bei ENGLAND SUCHT DEN SUPERSTAR angetreten, und wir haben den Einzug ins Finale geschafft.«
Das Publikum im Carbuncle antwortet mit ohrenbetäubendem Jubel.
»Vielen Dank. Leider hat Fran sich dazu entschieden, nicht am Finale teilzunehmen, das schon in ein paar Monaten stattfindet. Darum stehe ich jetzt ohne Partnerin da. Die Leute von ESDS meinten, dass ich trotzdem im Finale antreten darf, allein oder mit einer neuen Partnerin. Als ich das gehört habe, musste ich sofort an jemanden denken. An eine junge Frau, die ich vor einer Weile habe singen hören und die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht.«
Irgendwer stößt ein lautes »Whooo!« aus.
»Nun, diese junge Frau ist heute Abend im Publikum, und ich hoffe, sie wird mich zu einem Stück von Simon & Garfunkel begleiten. Ihre Stimme wird euch umhauen. Ihr Name ist Grace, und ich möchte sie nun zu mir auf die Bühne bitten, um mit mir zu singen.«
Ich starre zur Bühne. Niemand geht hinauf. Wie merkwürdig. Wendy stößt mir ihren Ellenbogen in die Rippen. Au! Ich sehe sie an. Sie entschuldigt sich nicht, sondern nickt mir nur zu. Was hat sie? Ich sehe wieder zur Bühne. Der arme Anton ist von dieser Grace versetzt worden. Ich betrachte sein freundliches Gesicht, bis ich seinen Blick auffange. Er sieht mich an. Mich. Mich. Ich bin diese Grace. Er nickt mir zu, als wolle er mich auffordern, zu ihm zu kommen. Die können hier nicht von mir erwarten, dass ich auf die Bühne gehe. Was soll das?
Ich lasse den Kiefer hängen wie ein hungriger Hund und sehe erneut Wendy an. Sie nimmt mir mein Glas aus der Hand, und alle Blicke richten sich auf mich. Im Pub ist es ganz leise geworden. Vielleicht sollte ich doch raufgehen und singen. Vielleicht sollte ich einfach etwas von Simon & Garfunkel singen. Was spricht dagegen? Es ist nur ein Song. So lange werde ich mich sicherlich zusammenreißen können. Gott, ich
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