Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
»Weißt du, was wir vorhin verpasst haben? ESDS ! Ich kann es nicht fassen. Ich hasse es, ESDS zu verpassen.«
Sie sieht mich an, aber ich kann nicht viel Mitgefühl aufbringen aufgrund der Tatsache, dass ich nicht spreche, dass ich ESDS hasse und dass ich schwanger bin.
36
Ich hatte jahrelang Sex mit Danny. Ich weiß, dass man davon schwanger werden kann. Warum überrascht es mich also, dass ein zweiminütiger schweißtreibender Akt dafür ausreicht? Ich, Gracie Flowers, erwarte ein Kind, abgesehen davon, dass ich natürlich kein Kind bekommen werde. Wie kann ich ein Kind bekommen? Ich kann nicht einmal einen Kaktus versorgen.
»Ich glaube, den können wir wegwerfen, Süße«, sagt Wendy und nimmt mir behutsam den Kaktus ab. »Wir entsorgen ihn gleich draußen in der Tonne. Bist du bereit?«
Wir sind in meinem Bad. Wendy hat uns beide geschminkt, und nun gehen wir zum Karaoke-Abend. Ich bin nicht so begeistert von der Idee, wenn ich ehrlich bin. Ich hasse Karaoke, ich spreche momentan nicht, mein Freund hat mich verlassen, und ich bin schwanger. Das ist eine Menge Zeug, und es ist nicht leicht, das alles zu schlucken. Aber Wendy möchte gern dorthin, und sie hat das ganze Wochenende mit mir in der Bude verbracht, also bin ich es ihr schuldig.
Wendy nimmt meine Hand. Ich klammere mich an ihr fest, während wir die Treppe hinabsteigen und meine Maisonettewohnung verlassen. Wendy wirft den Kaktus draußen in die Mülltonne, und wir gehen langsam über die Straße auf die warmen Lichter des Pubs zu. Sie öffnet die Tür und wendet sich mir zu.
»Du packst das«, versichert sie mir.
Wir betreten den Pub und werden sofort von der Lärmkulisse eingehüllt. Die Karaoke-Show hat bereits begonnen. Eine junge Frau singt ein Stück, das ich nicht kenne. Tatsächlich hat es etwas Tröstendes, Lärm um sich zu haben. Ich kann einfach der Musik lauschen, nicken und lächeln, sodass mein Unvermögen, Konversation zu betreiben, kaum auffallen wird. Anton steht allein an der Theke. Von Uma ist nichts zu sehen, was mich wundert, schließlich schienen sie operativ miteinander verbunden zu sein – ich habe sie gestern Abend vom Fenster aus beobachtet. Anton sieht wie immer gut aus, aber er macht irgendwie einen zerstreuten oder verstörten Eindruck. Er ist nicht er selbst. Ich würde mich heute Abend am liebsten zu ihm setzen. Mittlerweile assoziiere ich Anton mit einer Rettungsinsel. Und wo ist Keith Moon? Ich lasse den Blick auf Kniehöhe um mich herum schweifen, um nach ihm Ausschau zu halten, kann ihn jedoch nirgends entdecken. Wendy ist an der Bar und unterhält sich mit Freddie. Ich entdecke die einzigen zwei freien Stühle im Pub und setze mich, um auf Wendy zu warten. Ich schließe die Augen und lausche dem Gesang der jungen Frau. Sie singt einen Halbton zu tief.
»O mein Gott!«, stößt Wendy atemlos hervor, als sie zu mir kommt. »O. Mein. Gott. Das ist besser als jeder Klatsch, den ich je in meinem Leben gehört habe. Anton und diese Pilatestrainerin hatten gestern Abend einen Auftritt bei ESDS ! Ich kann nicht fassen, dass wir das verpasst haben. Das macht mich fix und fertig. Die waren gestern Abend so gut drauf, weil sie das Finale erreicht haben! Du weißt schon, die große Abschlussfeier an Weihnachten. Aber heute war ein großer Artikel in der Sonntagszeitung, in dem behauptet wird, dass sie, also Uma, also Fran – halt dich fest, jetzt kommt der Oberknaller – früher mal eine Edelprostituierte war! Jedenfalls ist sie untergetaucht. Sie hat eine Nachricht hinterlassen, dass sie in einem indischen Ashram ist und dass Anton das Finale ohne sie bestreiten soll. Okay, hör zu, ich habe für dich Wodka mit Limone und Soda bestellt. Aber dann ist mir das mit der Kichererbse eingefallen. Trotzdem, ich denke, ein Drink kann nicht schaden. Stell dir vor, du hättest den Test erst morgen gemacht, dann würdest du es jetzt noch gar nicht wissen und sicher Alkohol trinken. Ich schätze, es ist kein Problem, aber ich kann dir auch was ohne Alkohol besorgen, wenn dir das lieber ist.«
Ich blicke auf den Wodka. Was tun? Ihn trinken, schätze ich. Ich kann dieses Kind unmöglich bekommen. Ich nehme einen Schluck aus dem Glas, dann lutsche ich an einem der Eiswürfel.
»Ja, genau das würde ich auch tun. Oh, Anton geht auf die Bühne. Der ist bestimmt bedient. Ich frage mich, was er ohne sie singen wird«, sagt Wendy. Die Musik beginnt, und wir lauschen ein paar Sekunden.
»Was zum Teufel ist das?«, fragt Wendy leise.
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