Liebe lieber lebenslänglich: Roman (German Edition)
einer Woche wiederkommen. Dann werden sie die Prozedur durchführen.
»Entschuldigung?«, sage ich zu der chinesisch aussehenden Ärztin.
»Ja?«
»Stört es Sie, wenn ich etwas mache, das ein bisschen seltsam ist?«
»Äh …«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie etwas dagegen haben, wenn ich singe.«
»Nein, überhaupt nicht.«
Vielleicht zeugt das, was ich vorhabe, von Unzurechnungsfähigkeit, aber ich habe das Gefühl, ich sollte diesem Kind etwas Liebe geben, selbst wenn ich es nicht bekommen werde. Also singe ich. Ich singe Summertime , so wie mein Dad damals für mich. Aber als ich zu One of these mornings, you’re going to rise up singing komme, wird meine Stimme brüchig, und ich muss aufhören. Ich starre an die Decke. Ich will nicht die Nerven verlieren, nicht hier. Ich würde so gern weitersingen. Then you’ll spread your wings and you’ll take to the sky , aber ich habe einen Kloß im Hals, und es geht nicht.
Ich schließe die Augen und versuche, an etwas Positives zu denken, an das ich mich klammern kann, doch da ist nichts. Ich bin mir sicher, da muss es etwas geben, aber ich komme einfach nicht über die Tatsache hinweg, dass in meinem Bauch ein Herz schlägt, dass darin ein Mensch wächst. Ich könnte diesen Menschen lieben, mit ihm lachen, ihm Musik vorspielen. Seit Jahren wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine eigene Familie, und nun zerstöre ich die Möglichkeit dazu. Es kommt mir vor, als wäre ich heute hierhergekommen, um flott eine Abtreibung zu arrangieren, und mein Gewissen hätte sich einen Boxhandschuh übergestreift und mir ins Gesicht geschlagen.
Ich versuche mit aller Kraft, nicht darüber nachzudenken. Lächerlich, denn wir wissen alle, dass Dinge, die man verdrängt, früher oder später wieder an die Oberfläche kommen und einen in den Hintern beißen. Als ich die Augen öffne, starrt die Ärztin mich an. Oje, wahrscheinlich erklärt sie mich gleich für unzurechnungsfähig.
»Sind Sie Sängerin?«, fragt sie.
»Nein, ich bin Immobilienmaklerin«, antworte ich, allerdings nicht so stolz wie sonst.
Sie wirkt enttäuscht.
»Wissen Sie, was ich Ihnen empfehlen würde?«
»Was?«, frage ich, aber ich habe das Gefühl, ich weiß, was sie gleich sagen wird.
»Sich bei ENGLAND SUCHT DEN SUPERSTAR zu bewerben.«
Seht ihr? Ich wusste es.
»O nein«, sage ich unwillkürlich, zögere dann aber. Plötzlich bin ich mir über gar nichts mehr im Klaren.
50
Die Woche war absolut grauenhaft. Ich dachte, ich würde jetzt einfach dieses Dingsda durchziehen und es würde leicht sein, aber das ist es nicht. Ich habe seit Tagen nicht geschlafen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich vor mir das Bild aus der Broschüre, die die Gottesfrau mir gegeben hat. Und das ist noch nicht alles. Das Allerseltsamste ist, dass ich mich im Moment nicht allein fühle. Nachts liege ich wach und stelle mir vor, dass ich, beziehungsweise wir, also das Baby und ich, ein kleines Team sind. Mit diesem Gefühl habe ich nicht gerechnet. Morgen Vormittag um elf ist der Termin in der Klinik, und danach werde ich wieder allein sein. Ich fühle mich miserabel. Ich will es nicht tun. Ich will es ums Verrecken nicht. Aber ich weiß, dass ich muss. Oder doch nicht?
Wie kommt es, dass man immer dann, wenn man total mies drauf ist, zwingend auf einer Abendveranstaltung erscheinen und so tun muss, als wäre alles in bester Ordnung?
Bob ist plötzlich wieder aufgetaucht, und ich bin zu einer seiner Einweihungspartys eingeladen. Immer wenn er die Sanierung eines Objekts abgeschlossen hat, richtet er in der Musterwohnung eine Feier für alle wichtigen Leute aus, die ihm dabei geholfen haben – Grundstücksplaner, Architekten, Stadträte, Geschäftsleute, Vertreter der Lokalzeitung und so weiter. Ich bin immer dabei und mische mich unter die Leute, um mich vorzustellen und meine Visitenkarten zu verteilen. Normalerweise gehe ich gern zu diesen Partys, obwohl sie mir anfangs etwas Übung abverlangt haben. Bei meiner ersten Einweihungsfeier hat es mich bei der Vorstellung, dass die Leute über den nagelneuen Teppich latschen würden, so sehr gegraust, dass ich mich in die Tür gestellt und jeden Gast aufgefordert habe, mir seine Schuhsohlen zu zeigen, bevor er von mir ein »Herein«, ein »Bitte abputzen« oder sogar ein »Bitte ausziehen« bekam.
Dies ist die vornehmste Einweihungsfeier, die Bob jemals gegeben hat, und die Wohnung ist ein Traum. Die Häppchen kommen von einem Caterer, aber leider
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