Liebe macht blind - manche bleiben es
ohne dass diese Mamas sehender werden! Zur ersten Zigarette wird den Xandi und den Michi auch garantiert irgendein böser Bube verführen. Und zum ersten Kuss irgendein „frühreifes, abgefeimtes“ Mädchen. Denn so Unschuldslämmer wie der Xandi und der Michi, die würden doch von selbst gar nicht dahinterkommen, dass man rauchen und küssen kann. Bis ins allerhöchste Alter lässt sich so eine blinde Mütterlichkeit durchhalten. Erklärte mir doch glatt eine betagte Mama über ihren 65-jährigen Sohn, welcher die Angewohnheit hat, für sein Sonntags-Kleinformat bloß 5 Cents in die Kasse am Ständer zu werfen, bekümmert: „Von selber wär’ mein Ruderl nie auf die Idee gekommen! Aber seit er in der Renten ist und im Kaffeehaus immer so einen komischen Kerl trifft …“
Ob die hochbetagte Mama wohl demnächst im Kaffeehaus vorspricht und den Kaffeesieder bittet, den Ruderl zu „versetzen“?
Arme Anna!
Heutige Kinder haben, wenn sie in halbwegs wohlsituierten Familien aufwachsen, ein recht erstaunliches Leben. Was sie wissen und was sie nicht wissen, was sie können und was sie nicht können, verwundert den Menschen, der vor gut einem halben Jahrhundert Kind gewesen ist, enorm.
Da wohnt zum Beispiel in Wien, im 1. Bezirk, die achtjährige Anna. Diese Anna besucht eine Privatschule im 9. Bezirk. Im 19. Bezirk hat sie jeden Montag Klavierstunde. Jeden Dienstag hat sie Gymnastik-Kurs im 13. Bezirk. Am Mittwoch findet im 8. Bezirk ihr Tanzkurs statt. Schwimmkurs hat sie jeden Donnerstag im 17. Bezirk, jeden Freitag ist sie im 3. Bezirk bei ihrer Freundin zum Spielen. Am Samstag ist sie bei der einen Oma im 6. Bezirk und am Sonntag bei der anderen Oma im 14. Bezirk. Sagt man zu dieser Anna aber, wenn sie zufällig einmal daheim ist: „Geh, sei so lieb und hol zwei Semmeln vom Bäcker!“, dann schaut die Anna zwar willig, doch recht hilflos drein und fragt: „Wie finde ich dorthin?“
Der Bäcker ist zwar nur „dreimal um die Ecke herum“, aber die Anna kennt sich dort, wo sie wohnt, halt überhaupt nicht aus. Sie kennt sich auch dort, wo die Omas und die Freundin wohnen, überhaupt nicht aus. Und über die Gegend, wo sie lernt, tanzt, schwimmt, Klavier übt und turnt, weiß sie erst recht nicht Bescheid.
Die Anna wird ja immer „mit dem Auto gebracht“ und „mit dem Auto abgeholt“. Für die Anna ist ihre Heimatstadt unentdecktes Land, ist ein „weißer Fleck auf der Landkarte“, durchsetzt mit winzigen bekannten Inselchen. Der Anna wird nicht gestattet, sich ihre Heimat Stückchen für Stückchen und von Jahr zu Jahr immer mehr zu erobern, so wie wir als Kinder das konnten. Die Anna wird ins Auto verfrachtet und dort ausgeladen, wo sie gerade hingehört, und wieder eingeladen, wenn ihr „Termin“ vorbei ist.
Heutigen Kindern macht man es eben leicht!
Schwer werden sie sich bloß tun, ein bisschen Heimatgefühl zu entwickeln, denn Heimat hat man nur dort, wo man sich auskennt. Die Heimat muss man sich erobern. Auf eigenen kleinen Füßen! Vom Fond eines Mittelklasse-PKW aus wird das nur schwer möglich sein!
Aber höchstwahrscheinlich gibt es für die kleine Anna demnächst noch einen „Termin“, den sie irgendwo unterzubringen hat. Den Kursus für „Erlernung eines Heimatgefühls“. Vielleicht findet der dann im 21. Bezirk statt?
Die treu sorgende Mama wird die arme Anna ganz gewiss auch dorthin chauffieren. Und ganz stolz darauf sein, was sie alles für ihr Kind tut.
Ganz erstaunliche Kinder
Angeblich gibt es Kinder, die sich im Fond eines Mittelklassewagens pudelwohl fühlen und auch nach einer 1000-km-Non-Stop-Fahrt keinerlei Unmutsäußerungen von sich geben.
Angeblich gibt es auch Kinder, die nichts lieber tun, als stundenlang hinter ihren lieben Eltern blauweißen oder rotgrünen Markierungen nachzugehen, und die, wenn sie am Ziel der Wanderung angekommen sind, enttäuscht fragen: „Sind wir schon da?“
Angeblich gibt es auch Kinder, die begeistert durch ausländische Kirchen und Museen schreiten und ergriffen Seitenaltäre anstarren und beglückt vor barocken Gemälden verweilen.
Angeblich gibt es sogar Kinder, die genussvoll fremdländische Speisen verkosten und beim Kauen von Polypen Entzückensschreie ausstoßen. Diese Kinder reagieren auf extravagante ausländische Kost auch nie mit einer Verstimmung ihres Verdauungstraktes.
Ich habe zwar so ein Kind noch nie kennengelernt, aber ich habe schon sehr viele Eltern kennengelernt, die mir eidesstattlich versicherten, dass
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