Liebe Mathematik, löse deine Probleme bitte selber - verblüffend einfache Lösungen für Mathematik im Alltag
»quadratischen« und »kubischen« Zahlen. Noch Viète nannte seine Unbekannten »Kuben«, »Flächen« und »Linien«. Gleichungen lassen sich einfach viel besser erfassen, wenn man sie zeichnen kann. Deshalb stelle ich hier die Methode nach Luca Pacioli (oder Bruder Luca) dar, wie man Gleichungen als Diagramme auffasst.
Pacioli wird von Erbsenzählern weltweit als »Begründer der Buchhaltung« verehrt, denn er lieferte die erste vollständige Beschreibung der doppelten Buchführung in seinem 1494 erschienenen Werk Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proportionalità (wörtlich: »Alles über Arithmetik, Geometrie und Proportionen«). Er sagte gerne, dass »ein Mensch abends nicht ins Bett gehen sollte, bevor nicht Aktiva und Passiva ausgeglichen sind« 9 .
An dieser Stelle müssen wir uns beherrschen, damit wir nicht über die Feinheiten der Buchführung ins Schwärmen geraten. Uns interessiert vielmehr, wie Pacioli eine Aufgabe wie x 2 + 10x = 39 angepackt hätte. Er kramte keine Monsterformeln aus oder verstrickte sich in komplizierte Prozeduren. Sondern stellte die Aufgabe nach der von ihm erdachten Methode in Form von Geraden und Quadraten dar.
Als Erstes zeichnete er folgende Skizze:
Das Quadrat A hat eine Fläche von »x mal x« (oder einfach x 2 ). Die Rechtecke B und C haben beide die Fläche »5 mal x« (oder einfach 5x), ihre Gesamtfläche ist also 5x + 5x (also 10x). Die Gesamtfläche von A, B und C ist x 2 + 10x. Pacioli hat ein geometrisches Bild der Gleichung gezeichnet, die er zu lösen versucht.
Dadurch hat er eine algebraische Aufgabe in eine geometrische verwandelt. Um den Wert von x zu ermitteln, muss man die Skizze durch das Quadrat D ergänzen:
In diesem Diagramm ist die Gesamtfläche von A, B und C x 2 + 10x, was (laut Angabe) gleich 39 ist. Das Quadrat D hat eine Fläche von »5 mal 5«, was 25 entspricht. Die Gesamtfläche von A, B, C und D ist also 39 + 25 gleich 64.
A, B, C und D bilden zusammen aber wieder ein Quadrat, sodass die Kantenlänge acht betragen muss.
Da laut Diagramm die Länge einer Kante x + 5 entspricht, muss x gleich drei sein.
Leute wie Pacioli verbrachten sehr viel Zeit damit, Gleichungen in geometrische Aufgaben umzuwandeln – mit durchwachsenem Erfolg. Denn dieser Ansatz hat seine Probleme. Zunächst einmal braucht jede Art Gleichung eine unterschiedliche Lösungstechnik. Pacioli konnte alle Gleichungen der Form x 2 + ax = b mit der gleichen Art Skizze lösen (wie zum Beispiel die obige Gleichung), solange a und b positive ganze Zahlen waren. Doch für quadratische Gleichungen anderer Form brauchte er völlig andere Ansätze – im Gegensatz zu späteren Mathematikern, die Gleichungen mit »reiner« Algebra lösten und die gefürchtete Formel (s. o.) für jede beliebige quadratische Gleichung verwenden konnten. Außerdem übersieht Paciolis geometrische Methode negative Lösungen für Gleichungen, weil negative Längen einfach keinen Sinn ergeben. Tatsächlich gibt es für die obige Gleichung nämlich zwei Lösungen, 3 und – 13. Mit rein algebraischen Methoden findet man beide.
63.
Nur zum Spaß: Folgendes Diagramm zeichnete der arabische Mathematiker al-Chwarizmi für die exakt gleiche Aufgabe wie oben: x 2 + 10x = 39
A ist ein Quadrat mit der Seitenlänge x, B und C sind Rechtecke mit den Seitenlängen x und 2 ½. Jetzt ist es an Ihnen, aus diesen Angaben die Lösung der Gleichung zu finden.
Aber beschreiten wir den Weg der Algebra lieber nicht zu weit. Irgendwann werden die Dinge ziemlich bizarr. Der Pfad wird undeutlicher. Es lauern Stolperfallen und Stacheldraht, »Betreten verboten«-Schilder verwehren den Zugang. Und dahinter? Liegen das Quadratische Reziprozitätsgesetz, Ganzheitsringe, transzendente Zahlen, Quaternionen und Noethersche Ringe. Sie wollen es gar nicht wissen …
VIERTER TEIL
Von Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten
1 Hohe Erwartungen an die Wahrscheinlichkeitsrechnung
Es mag vielleicht überraschen, aber die Menschen erhofften sich von der Wahrscheinlichkeitsrechnung einmal Großes. Klar, alles begann mit Leuten, die vorherzusagen versuchten, wie oft Kopf erscheinen würde, wenn man eine Münze hundert Mal warf. Doch als diese Voraussagen sich als korrekt erwiesen, kriegten sich die Leute in ihrem Enthusiasmus gar nicht mehr ein.
Die Pioniere der Wahrscheinlichkeitsrechnung glaubten tatsächlich, die Methode könnte ihnen einen Blick in die Zukunft gestatten. Wenn die
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