Liebe oder so
zu Gesicht bekommen hatte, begrüßte mich überschwänglich, als seien wir alte Freunde. Er sah sich im ganzen Laden gründlich um und hatte im Handumdrehen meinem Chef ein Dutzend Verbesserungen in den Notizblock diktiert.
„An der richtigen Positionierung der Bilderwand habe ich lange gefeilt“, sagte mein Chef stolz und wies auf das elende Trumm, „auf die Art und Weise kommen die ausgestellten Bilder am besten zur Geltung.“
„Mag ja sein, aber dieses Ding stört die Harmonie des Ganzen“, meinte Heller kühl, „also weg damit!“
„Wie, ganz?“
„Natürlich ganz! Schmeißen Sie’s meinetwegen auf den Sperrmüll, es stört hier nur.“
Widerwillig notierte mein Chef „Bilderwand entfernen“ auf einer neuen Seite seines Blocks. So ging es noch eine halbe Stunde weiter, Heller gestaltete im Geiste den ganzen Laden um, das Baumarkt-Triumvirat übte sich im Beipflichten, und am Ende tranken wir ein Gläschen Sekt zusammen.
Natürlich wusste ich nur zu gut, dass sich durch seine Stippvisite nichts ändern würde, weder im Laden noch am Verhältnis zwischen den Baumarktärschen und mir. Morgen würde Heller die Filiale einer anderen Stadt umdekorieren und spätestens übermorgen die Bilderwand und alles weitere vergessen haben, ich kannte das von früheren Besuchen her. Doch begegnet uns Gerechtigkeit ohnehin immer in viel zu kleinen Dosen, da sollte man wenigstens die paar Gelegenheiten zu schätzen wissen, die uns mit dem Leben versöhnen.
Durch den Besuch meines Gebietsleiters hatte ich es mal wieder nicht geschafft, eine Mittagspause zu machen und ein paar Sachen fürs Wochenende einzukaufen. Da ich nicht sicher war, ob Carolin das für mich übernommen hatte, besorgte ich an der Tankstelle noch schnell ein trockenes Baguette und ein paar Bier, um wenigstens unsere leibliche Grundversorgung zu gewährleisten.
Caro war nicht mehr da, nur mein Zettel vom Morgen lag auf dem Tisch. „Danke fürs Obdach. Hab leider keine Zeit zum Einkaufen.“, stand auf der Rückseite und „Holst du mich heute Abend ab?“ Ich hatte gehofft, sie hätte das mit der Disco vergessen und käme einfach so zum Plaudern vorbei, aber in manchen Dingen konnte sie sehr gewissenhaft sein.
Mir blieb noch etwa eine Stunde Zeit. Bei Fernsehen und Bier holte ich das Letzte aus der Packung Frischkäse heraus, die Carolin mir übrig gelassen hatte. Den Rest des Baguettes schmiss ich in den Müll. Es war so trocken, dass ich es beim besten Willen nicht ohne Belag runterbekam.
Auf einem der Privatsender lief „Bullitt“, der meiner Ansicht nach seinerzeit nur wegen seiner berühmten Verfolgungsjagd gedreht geworden war. Die eigentliche Geschichte drumherum war eher dürftig, es ging um Korruption und ein missglücktes Zeugenschutzprojekt, aber wegen der Autoszenen guckte ich mir den Streifen immer wieder an.
Das Vorgeplänkel mit dem erschoss enen Zeugen war schon vorüber, jetzt ging’s wortlos und mit nem Affenzahn durch San Francisco und hinaus in die Vororte. Nachdem Steve McQueen seinen Mustang in den Graben gesetzt hatte, flaute der Film wieder ab. Ich zappte mich durch verschiedene Soaps und gelangte schließlich bei einer Reportage über Darmkrebs an. Letztlich war das mit der Disco doch gar nicht so schlimm.
Ich schaltete die Kiste aus, räumte das Geschirr beise ite und zog mich um. Draußen war es bereits seit Stunden stockdunkel. Mit einem Mal war ich sehr müde, und als ich einen Moment lang inne hielt, spürte ich wieder dieses Gefühl aufkommen, das mich seit Sonjas Auszug schon häufiger heimgesucht hatte: Angst. Sie überkam mich immer dann, wenn ich den Gedanken um mich herum Gelegenheit gab, mich einzuholen. Da halfen auch Alkohol, Zigaretten und Ablenkung wenig. Die Drogen funktionierten nicht und machten das Ganze nur schlimmer, es war wie in dem Lied von The Verve. Ich fühlte mich einsam wie nie.
11
Das Roadhouse kannte ich noch von früher her. Hier lief neben Popmusik der achtziger Jahre noch der gute alte Rock and Roll der Siebziger, und auch das Publikum bestand noch immer aus den gleichen Typen: Langhaarigen Althippies, schweren Jungs mit Motorrädern und Ex-Punks, die am Wochenende nochmal die alten Zeiten aufleben lassen wollten. Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft, geeint durch den Umstand, dass wir alle längst zum alten Eisen zählten, auf Ü-30-Partys gingen und für all die Werbemacher und Trendforscher da draußen absolut uninteressant waren.
Carolin fühlte sich
Weitere Kostenlose Bücher