Liebe oder so
geistiger Nähe, die weit über ihre erotische Anziehungskraft hinausging. Es war noch zu früh, um sie greifen oder in Worte fassen zu können, aber ich verließ mich da ganz auf mein Gefühl.
„An deiner Stelle würde ich auf das Ding draufspr echen“, meinte Carolin, „dann weiß sie wenigstens, dass du es warst.“
„Jaja.“ Ich steckte mir eine Zigarette an. Mein Ve rbrauch hatte sich schlagartig verdoppelt, überall lagen halbgerauchte Kippen herum, die Unruhe in meinem Kopf tat mir nicht gut. Caro räumte hinter mir her, wir hatten sogar einen Krach deswegen hinter uns. Mir war für den Moment alles egal, nach und nach passte ich die Wohnung meinem inneren Befinden an. Carolin hatte ihre eigenen Probleme am Hals, mir war nicht ganz klar, wer von uns wen stützte. Es kam vor, dass wir wir stundenlang aneinander vorbeiredeten.
„Vielleicht ist sie einkaufen oder beim Arzt oder sie sitzt gerade auf dem Lokus“, sagte sie.
„Vielleicht hört auch ihr Freund den Anrufbeantworter ab und lacht sich nen Ast.“
„ Schon möglich. Aber darauf würd ich’s an deiner Stelle ankommen lassen.“
Am Ende ließ ich mich breitschlagen, viel zu verlieren ha tte ich wirklich nicht. Im schlimmsten Fall würde mir dieser Jochen vor dem Haus auflauern und die Kniescheiben zertrümmern. Ich ließ diese Möglichkeit nicht aus den Augen, aber irgendwann schlägt für jeden mal das letzte Stündlein, warum den Tatsachen also nicht gleich ins Auge sehen?
Den Spruch ihres Anrufbeantworters kannte ich inzwischen auswendig. Ich fasste mich kurz, so ganz spruchreif war das alles noch nicht. Aber ich wollte, dass Marie sich im Klaren darüber war, dass ich auf sie wartete.
Nachdem ich aufgelegt hatte, hätte ich alles am liebsten wieder zurückgenommen. Ich kam mir vor wie ein ko mpletter Idiot. Ich stellte mir ihr Gesicht vor, wenn sie sich das anhörte. Sah sie den Kopf schütteln, laut auflachen und das Band ihrem Macker und ihren Freundinnen vorspielen. Wer weiß, vielleicht trieb sie es auch gerade mit einem anderen, vielleicht tigerte dieser Jochen genauso durch die Wohnung wie ich, dann konnte er mich wenigstens anrufen und sich mit mir betrinken.
Am Nachmittag klemmte ich mich wieder hinter die Dr achenzeichnungen. Ich war nicht besonders gut voran gekommen, allmählich drängte die Zeit. Carolin brachte mir Kaffee und besah sich die Entwürfe.
„Irgendwas fehlt noch“, meinte sie, „die Sache ist noch nicht richtig rund.“
„Ich weiß. Aber was?“
„ Versuch mal, was an den Flügeln zu ändern oder sie ganz wegzulassen.“
„So etwa?“ Ich reichte ihr ein Blatt aus dem Stapel, auf dem verschiedene flügellose Drachen zu sehen waren. Auf dem Tisch stapelten sich Bücher, Comics und Zeitschriften, selbst Abbildu ngen auf Teebeuteln hatte ich als Vorlage verwendet.
„Hm - auch nicht besser“, sagte sie.
„Ich hab das Gefühl, ich kann hier noch jahrelang so weitermachen, ohne dahinterzukommen.“
„Frag doch mal Chris, vielleicht hat er ja ne gute Idee.“
„ Chris? Wieso, kommt er denn wieder her?“
„Er hat was von Ende des Monats gesagt. Eigentlich wol lte er früher weg, weil sein Vater Geburtstag hat, aber er konnte irgendwie nicht wegen der Firma.“
„Wann hast du mit ihm gesprochen?“, fragte ich.
„Dienstag oder Mittwoch, als du den Wagen abgeholt hast.“
„Un d das sagst du mir erst jetzt?“
„Reg dich ab! Er wusste noch nicht sicher, ob es überhaupt klappt, er wollte sich nur mal kurz melden. Bevor er losfliegt, ruft er sowieso wieder an.“
Ich hatte Christian seit November nicht mehr gesehen, damals hatten Marie und ich noch ganz am Anfang gestanden. Na ja, wenn man’s genau nahm, waren wir miteinander noch nicht wesentlich weiter. Was die Entwürfe anbetraf, so musste ich zugeben, dass er mir eine große Hilfe sein konnte.
Es klingelte, und Carolin verschwand für eine Weile mit dem Telefon im Nebenzimmer. Ich zeichnete mich um Kopf und Kragen, die Sache machte Spaß, aber in den letzten Tagen entstanden immer mehr Horrordrachen auf dem Papier. Mit meiner Psyche hätte jeder Analytiker seine helle Freude gehabt.
Ich schmiss den Stift in den Mülleimer und suchte nach meinen Zigaretten. Draußen schien ausnahm sweise mal die Sonne, ich rauchte mit verschränkten Armen und verkniffenem Gesicht auf dem Balkon gegen den Wind an. Meine Nachbarin aus dem dritten Stock pflanzte im Garten Krokusse ein.
„Wie geht’s?“, rief ich zu ihr runter , als sie eine Pause
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