Liebe stand nicht auf dem Plan
Fassung. Er hat so eine miserable Kondition, dass er kaum normal gehen kann, unbeholfen und steif kommt er sich vor. Vor allem, als Orhan Gündür, Mehmets Onkel, der mit dem 10. Dan, an ihm vorbeijoggt. Bestimmt ist der mal eben unten an der Elbe entlang bis nach Blankenese und zurück gerannt. Leif kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal zu Fuß gegangen ist. Nicht dass er mit dem hysterischen Fitnesspack etwas gemein haben will, aber irgendwas muss er tun, bevor er total einrostet, zur absoluten Unbeweglichkeit verdammt. Er saugt sich die Lungen voll Luft, streckt seinen Brustkorb raus, strafft sich und versucht, seinen Gang dynamischer wirken zu lassen, aber außer Beklemmungen in der Brust hat er nichts davon.
Was für ein Mief, denkt er, als er die Clubtür aufschließt. Normalerweise hätte er sie festgekeilt und offen stehen lassen zum Lüften. Aber nach dem Brief lässt er es sein und schließt lieber hinter sich ab.
Automatisch greift er an der Bar nach einer Flasche Bier. Dann stellt er sie langsam wieder ab, füllt stattdessen ein Glas Wasser
am Hahn. Stillt auch den Durst, denkt er und verschluckt sich. Da macht wer an der Tür rum. Leif packt die Bierflasche und taucht blitzschnell hinter der Theke ab. Das sind sie! Ihm wird übel vor Angst. Die Tür fällt zu, Schritte nähern sich der Bar.
Leif fällt das Handy aus der schweißnassen Hand.
Nora schreit auf. Zu Tode erschrocken starrt sie Leif an, der plötzlich wie ein Gespenst hinter der Theke steht.
»Was willst du hier?« Leifs Stimme kommt selbst ihm fremd vor.
»Mir ist gestern beim Putzen auf dem Klo eine Kachel entgegengekommen. «
»Und?«
»Ich hab Fliesenmörtel besorgt. Die muss festgemacht werden. « Nora hält einen Plastikeimer hoch. »Du weißt doch, die Mädchen rasten sonst aus, iiih, ein Rattenloch …! Ich hab nicht gewusst, dass du da bist. Dein Auto steht nicht da. Stör ich?«
Offensichtlich stört sie. Leif wirkt seltsam verkrampft. Er hält die Bierflasche am Flaschenhals hinterm Rücken versteckt und blafft Nora an: »Du hast die Tür nicht hinter dir abgeschlossen.«
»Oh. Ja. Stimmt. Sorry.«
»Ihr müsst aufpassen. Ich hab keinen Bock auf noch mehr ungebetene Besucher.«
»Soll ich wiederkommen, wenn du hier fertig bist?«, fragt Nora beiläufig, um nicht durchblicken zu lassen, dass sie seine Panik mitgekriegt hat.
»Nein, ist okay. Ich bin im Büro.«
Nora schließt ab, und schnell stellt Leif die Bierflasche ab, als sie ihm den Rücken zukehrt.
Mist, denkt sie, als sie zum Klo geht, ich hab’s vermasselt. Sie hat gehofft, Leif im Club anzutreffen, um mit ihm über ihre Pläne zu reden. Blöd, dass ihr Erscheinen ihn erschreckt hat. Das ist
eine absolut bescheuerte Verhandlungsbasis. Sie hat eher auf Dankbarkeit spekuliert für ihren außerordentlichen Arbeitseinsatz. Das kann sie jetzt knicken.
Nora sprüht das Klobecken mit Desinfektionsmittel ein und singt leise, aber inbrünstig eine Variation des Stones-Klassikers, I can’t get no … disinfection.
Die lockere Wandfliese fällt ihr sofort entgegen, als sie dagegenklopft. Der Hohlraum dahinter ist beträchtlich. Vermutlich war das mal als Revisionsöffnung vorgesehen. Akribisch, was nicht einfach ist, weil sie zwischen Klo und Trennwand schlecht manövrieren kann, mörtelt Nora einen weißen Kunststoffrahmen mit Trägerplatte in den Hohlraum und klebt die Fliese darauf. Sie hat oft genug ihrem Vater assistiert, wenn er in den Ferien an der Datscha in Stegna gewerkelt hat, um sich bei so was in etwa auszukennen. Während sie darauf wartet, dass der Mörtel anzieht, verfugt sie in der ersten Kabine rechts auf der anderen Seite eine Kachel nach und hinterlässt eine sichtbar neue Fuge.
Dann testet sie ihr Geheimversteck mit dem Saugnapf plus Haken, an dem bis eben noch neben dem Waschbecken ein Wischlappen gehangen hat, in der Hoffnung, dass er wenigstens ein einziges Mal von einem Gast benutzt wird. Da das im Leben nie passieren wird, hat Nora ihn sich geschnappt und drückt ihn auf die Fliese. Sie zieht daran und, hoppla, hat sie die Fliese in der Hand. Nora kichert leise vor sich hin, obwohl der Nachteil des Geheimverstecks ebenfalls auf der Hand liegt. Sie lugt in das dunkle Loch. Wenn sie da hineinlangt, ist eine Kanalratten-Attacke mehr als wahrscheinlich.
Nora schüttelt sich und drückt die Fliese wieder fest. Dann holt sie Leif und präsentiert ihm mit einem gewissen Stolz die neue Scheinfuge auf dem ersten Lokus vorne
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