Liebe um Mitternacht
kein kleines Mädchen mehr. Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Denk doch nur, was sie bisher schon erreicht hat. Trotz dieser schrecklichen Geschichte vor drei Jahren hat sie sich einen profitablen Beruf erarbeitet. Sie würde sich lieber den Schwierigkeiten stellen, ihren eigenen Weg im Leben zu finden, als sich in einer lieblosen Ehe elend zu fühlen. Jede Frau, die in der Lage ist, einen Entschluss zu fassen, kann selbst entscheiden, ob sie das Risiko einer Affäre mit einem Mann eingehen möchte, der sie wahrscheinlich niemals heiraten wird.«
Emma lächelte erschöpft, dann legte sie ihre Hand auf die von Milly. »Natürlich hast du Recht, meine liebe Milly. Du hast in solchen Dingen meistens Recht. Aber manchmal, wenn ich Caroline ansehe, muss ich daran denken, was mit Beatrice geschehen ist, und dass es mir damals nicht gelungen ist, sie zu beschützen. Ich habe mir geschworen, dass mir das bei ihrer Tochter nicht passieren wird.«
»Wir haben in der Vergangenheit schon so oft darüber geredet. Ich kann nur das wiederholen, was ich dir schon unzählige Male zuvor gesagt habe. Es gab nichts, was du für Beatrice hättest tun können. Und du hast ganz sicher nicht versagt bei Caroline. Sie ist intelligent, empfindsam und temperamentvoll, und all das verdankt sie dir. Sie ist deine Tochter, im wahrsten Sinne des Wortes, Emma.«
Emma drückte Millys Finger. »Immerhin habe ich sie nicht allein großgezogen. Du warst immer bei mir. Sie ist genauso sehr deine Tochter wie meine.«
Sie sahen ein paar Minuten lang schweigend in die Flammen im Kamin. Es war nicht nötig, zu reden. Sie waren schon so lange Zeit zusammen, dass sie die Gedanken des anderen lesen konnten.
14
Die Antwort auf die Anfrage für die Seance kam am nächsten Morgen sehr schnell.
Caroline saß noch mit Emma und Milly beim Frühstück. Alle drei trugen ihre neuen Morgenmäntel. Die Mode, bequeme, weite Kleidung zum Frühstück zu tragen, war aus Frankreich gekommen, und die Damen der Gesellschaft hatten diese Mode bereitwillig übernommen. Die Ladys in der Corley Lane 22 gehörten zu den Ersten, die sich danach gerichtet hatten.
Die Morgenröcke waren sehr züchtig, doch man betrachtete sie als sehr gewagt, weil sie
weit
waren. Die Kritiker wüteten gegen diese Mode, sie sahen sie als Niedergang der Moral. Einige gingen sogar so weit, die Frauen zu warnen, dass ihre Ehemänner schon bald das Interesse an ihnen verlieren würden, wenn diese ihre Vorzüge jeden Morgen beim Frühstück in solch
weite
Kleidung hüllen würden.
Nur sehr wenige Frauen hörten auf solche Voraussagen.
Sicherlich gehörte aus diesem Haushalt keine zu denen, die sich um die Meinung der Kritiker scherten, da es hier sowieso keine Ehemänner gab. Wenn man bedachte, wie unbequem die steifen, eng geschnürten Korsetts und Mieder der modernen Kleidung waren, ganz zu schweigen vom Gewicht der Stoffe, dann war keine vernünftige Frau gern bereit, den Tag darin früher zu beginnen als unbedingt notwendig.
Caroline legte die Gabel beiseite und öffnete die Nachricht von Irene Toller.
»Aha.« Triumphierend wedelte sie mit dem Blatt Papier. »Ich wusste doch, dass es nicht lange dauern würde, bis ich zu einer Seance gebeten werde. Habe ich euch nicht gesagt, dass Mrs. Toller auf der Suche nach neuen Geschäften ist?«
Milly stellte ihre Teetasse ab. »Was schreibt sie denn, meine Liebe?«
Caroline las laut vor.
Liebe Mrs. Fordyce,
Ich beziehe mich auf ihre Bitte, an einer richtigen Seance teilzunehmen und freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ich schon heute Abend um neun Uhr eine Seance abhalten werde. Ich habe noch Platz für zwei zusätzliche Teilnehmer. Sie und Ihr Assistent sind herzlich eingeladen. Ich versichere Ihnen, dass Sie nicht enttäuscht sein werden.
Mit freundlichen Grüßen, I. Toller
P. S.: Die Gebühren für meine Seancen sind unten aufgeführt. Zahlungen sind fällig, ehe die Seance beginnt.
Emma legte langsam den Löffel beiseite. »Versprich mir, dass du heute Abend vorsichtig sein wirst, Caroline. Ich bin noch immer sehr ängstlich wegen dieser Sache, die du und Mr. Hardesty vorhaben.«
»Es wird ihnen beiden nichts geschehen«, versicherte Milly ihr fröhlich. »Was kann schon bei einer Seance passieren?« Sie wandte sich wieder Caroline zu. »Emma und ich haben heute Abend eine Verabredung mit Mrs. Hughes im Theater. Danach werden wir sicher noch viele Stunden Karten spielen. Aber morgen möchte ich jede Einzelheit über
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