Liebe um Mitternacht
man durch einen unerwarteten Todesfall verloren hatte, auch die vernünftigste und ausgeglichenste Frau zur leichten Beute für einen Scharlatan wie Irene Toller.
Verdammt, ärgerte er sich. Er konnte nur sich selbst einen Vorwurf machen, weil all das hier geschah. Wenn er Caroline nicht in die Sache hineingezogen hätte, dann wäre sie heute Abend nicht hier.
Wieder waren die Klopfgeräusche und das Läuten und Kratzen zu hören. Uber den Tisch hinweg sah Irene Caroline an.
»Ihr Jeremy sagt, ich soll Ihnen ausrichten, dass er Sie liebt und auf der anderen Seite mit offenen Armen auf Sie wartet. Eines Tages werden Sie wieder vereint sein und endlich auch das Glück wiederfinden, das Ihnen genommen wurde, als er von Ihnen ging.«
»In Ordnung«, antwortete Caroline mit eigenartiger Stimme.
Eine Glocke ertönte.
Ein Schauer rann durch Irenes Körper. Ihre Hände auf dem Tisch zitterten. »Der Geist sagt, dass er nicht in der Lage ist, heute Abend noch mehr zu sagen. Er wird es in Kürze noch einmal versuchen.« Sie erstarrte, dann wand sie sich auf ihrem Stuhl. »Es ist vorbei. Die Geister sind verschwunden. Sie müssen jetzt alle gehen, ich bin erschöpft.«
Sie fiel nach vorn, mit dem Gesicht auf ihre bewegungslosen Hände.
Die Tür öffnete sich, und die Haushälterin trat in das Zimmer.
»Die Seance ist vorüber«, erklärte Bess. »Sie müssen jetzt alle gehen, damit Mrs. Toller sich erholen kann.«
15
Die Kutsche rollte durch die nebligen Straßen zurück zur Corley Lane. Im Inneren der Kutsche war es dunkel, weil Adam die Lampen nicht angezündet hatte. Er sagte sich, dass es Caroline wahrscheinlich angenehmer war, nach dieser erschütternden Erfahrung ein wenig Privatsphäre zu haben.
Er war noch immer wütend. Jetzt sah er zu Caroline und überlegte, was er ihr sagen könnte. Sie saß ihm gegenüber, einen warmen Schal um die Schultern, ihr Gesicht hatte sie abgewandt. Sie schien in Erinnerungen versunken.
Er wollte ihr sein Mitleid anbieten, doch gleichzeitig sehnte er sich danach, ihr ins Gedächtnis zu rufen, dass sie nicht an das glauben sollte, was bei der Seance geschehen war. Auf der anderen Seite konnte es aber sein, dass die Möglichkeit, dass ihr toter Mann aus dem Grab zu ihr gesprochen hatte, ihr Trost gab. Wieso sollte er ihr das nehmen?
Er hätte Irene Toller umbringen können, ohne jegliche Reue, entschied er. Wie konnte diese Frau nur mit ihrem Gewissen leben? Es war eine Sache, eine Seance zur allgemeinen Unterhaltung abzuhalten oder selbst als zynisches Mittel einzusetzen, um die dummen und leicht zu beeinflussenden Menschen zu betrügen. Geschäft war immerhin Geschäft. Niemand wusste das besser als er selbst. Aber absichtlich die Trauer einer Frau auszunutzen, das konnte er nicht tolerieren.
Adam schwor sich, dass er dafür sorgen würde, Irene Toller als Betrügerin zu entlarven, noch ehe diese ganze Geschichte vorüber war.
»Es tut mir Leid, dass Sie gezwungen waren, dieses traurige Experiment zu ertragen«, meinte er schließlich.
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Adam.« Ihre Stimme klang vollkommen ausdruckslos. »Das war ganz sicher nicht Ihr Fehler.«
»Doch, in der Tat, es war mein Fehler.« Er legte eine Hand auf das Polster neben sich. »Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass Sie mich heute Abend begleiten.«
»Nein, nein, Sie dürfen sich keinen Vorwurf machen«, wehrte sie schnell ab. »Es geht mir gut, wirklich.«
»Sie sind außer sich.«
»Ganz und gar nicht.« Jetzt sprach sie ein wenig lauter. »Das versichere ich Ihnen.«
»Niemand könnte eine so quälende Sache durchstehen, ohne davon angerührt zu sein.«
»Es war alles ein wenig …« Sie zögerte, als suche sie nach den richtigen Worten. »Eigenartig, das gebe ich zu. Aber ich versichere Ihnen, meine Nerven sind ganz in Ordnung. Ich werde ganz sicher weder in Hysterie noch in Melancholie verfallen.«
»Daran zweifle ich nicht.« Trotz seines Zorns stieg Bewunderung für diese Frau in ihm auf. »Wir kennen einander noch nicht so lange, Caroline, aber ich muss Ihnen sagen, dass mich Ihre Kraft und Ihre Unerschütterlichkeit beeindrucken.«
Sie öffnete ihren Fächer, schloss ihn wieder und öffnete ihn dann mit nervösen Fingern noch einmal. Diese Nervosität schien so gar nicht zu ihr zu passen.
»Sie schmeicheln mir«, murmelte sie.
Er machte alles nur noch schlimmer, wenn er darüber sprach, überlegte er. Aber er konnte jetzt, wo er einmal damit angefangen hatte, nicht mehr
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