Liebe um Mitternacht
Sir?«
Dieser Vorwurf traf ihn unerwartet. Er lächelte ein wenig. »Ich versichere Ihnen, ich bin noch erstaunter als Sie, diesen Charakterzug bei mir festzustellen.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und klopfte mit der Spitze ihres Schuhs auf den Boden. »Nun, ich nehme an, jetzt bin ich diejenige, die sich entschuldigen sollte. Ich hatte nie die Absicht, Sie in eine, wie Sie es nennen,
unangenehme Lage
zu bringen, Sir.«
»Mir ist klar, dass das nicht Ihre Absicht war.« Er zögerte. »Sie haben das Recht, Ihre Geheimnisse für sich zu behalten, Caroline, genau so wie ich.«
»In dieser Hinsicht waren wir uns einig.«
Er kämpfte gegen die gefährliche Leidenschaft, die sie in ihm weckte. Der Wunsch war überwältigend, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen, bis sie vollkommen atemlos war, bis sie diesen Bastard vergessen hatte, der sie in Chillingham ruiniert hatte. Aber er wollte noch etwas tun, das weitaus leichtsinniger war, etwas, das er noch bei keiner Frau gewagt hatte. Aus irgendeinem verrückten Grund, den er nicht erklären konnte, fühlte er sich gezwungen, für einen Ausgleich zwischen ihnen zu sorgen. Ganz unbeabsichtigt hatte er sie dazu gebracht, ihm einige ihrer Geheimnisse zu verraten. Er wollte ihr jetzt im Gegenzug auch einige seiner Geheimnisse anvertrauen.
»Würden Sie mit mir kommen, in einen anderen Bezirk der Stadt?«, fragte er. »Es gibt da etwas, das ich Ihnen zeigen möchte.«
»Jetzt? Heute Abend?«
»Ja.« Er hatte keine Ahnung, was mit ihm los war, er wusste nur, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. »Ich verspreche Ihnen, dass Ihnen von mir keinerlei Gefahr droht.«
Sie schien verwirrt. »Ich habe keine Angst vor Ihnen.«
Vielleicht sollte sie sich weigern, ihn zu begleiten. Vielleicht wäre das besser so. Dennoch wartete er auf ihre Entscheidung, als hinge seine ganze Zukunft davon ab.
»Also gut«, gab sie schließlich nach. »Meine Tanten kommen heute Abend erst sehr spät nach Hause. Sie werden also nicht zu Hause sitzen und sich Sorgen machen, wenn ich ein wenig später komme.«
Noch ehe er seine Meinung ändern konnte, stand er auf, klopfte gegen das Dach der Kutsche und nannte Ned eine bekannte Adresse.
16
Adam auf dieser Reise in die Nacht zu begleiten, war bei weitem das Aufregendste, was sie in ihrem ganzen Leben getan hatte, überlegte Caroline. Eine eigenartige, fieberhafte Erwartung war in ihr geweckt. Wohin brachte er sie? Was wollte er ihr zeigen?
Aber sie stellte keine Fragen. Sie fühlte, dass das, was er ihr zu zeigen hatte, für ihn sehr wichtig und voller Bedeutung war. Er musste die Sache auf seine eigene Art zu Ende bringen.
Sie zog den Schal ein wenig fester um ihre Schultern und sah aus dem Fenster der Kutsche hinaus in die nebligen Straßen. Sie fuhren jetzt durch eine weniger vornehme Gegend. Die Gaslampen standen weiter auseinander in diesen engen Straßen. Es gab weniger Licht in den Fenstern und noch weniger Verkehr. Die dunklen Eingänge zu den Seitengassen sahen so unheimlich aus, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.
Sie fuhren an einer Taverne vorbei. Durch die schmutzigen Fenster erkannte sie Männer in grober Arbeitskleidung und eine Hand voll Frauen in schäbigen Kleidern.
Sie saßen an Tischen und tranken aus Krügen und Gingläsern.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte sie Adam, der ihr Gesicht beobachtet hatte. »Dies ist eine ärmliche Gegend, aber ich kenne mich hier gut aus. Sie sind nicht in Gefahr.«
»Ich habe keine Angst.«
Nicht, solange ich bei dir bin,
fügte sie insgeheim hinzu.
Die Kutsche bog um eine Ecke und holperte über eine dunkle Straße. Eine Frau in einem zerschlissenen Kleid lungerte unter einer Gaslampe. Als sie die Kutsche entdeckte, zog sie den Schal zur Seite und enthüllte ihre nackten Brüste. »Ich liefere Ihnen gute Arbeit, Sir«, rief sie mit rauer, ein wenig schleppender Stimme. »Der Preis ist angemessen für das, was ich Ihnen biete.« Dann verzog sie böse das Gesicht. »Was soll das denn? Wie ich sehe, haben Sie bereits Unterhaltung für den heutigen Abend gefunden. Na ja, dann eben nächstes Mal. Ich werde hier sein, Sir. Sie brauchen nur nach mir zu fragen. Mein Name ist Nan.«
»Diese Frau tut mir so Leid«, flüsterte Caroline.
»Sind Sie denn nicht schockiert?«, wollte Adam wissen.
»Mir ist klar, dass es nur sehr wenig Unterschied gibt zwischen einer mittellosen Frau und einer elenden Existenz auf der Straße.«
»Da haben Sie natürlich Recht.« Adam
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