Liebe Unbekannte (German Edition)
Trichter aus den Händen und rief:
„Kornél! Kornél! Hör zu!“
Die Eckkuppel antwortete nicht.
„Ich habe ein Angebot. Aber das ist das Letzte.“
Er wartete.
„Wirklich das Letzte.“
Er wartete. Blickte hinauf. Dann rückte er seine Brille zurecht, um besser zu sehen.
„Kornél!“
Die Eckkuppel schwieg.
„Kornél!“
Der Ruf verstummte, und Gábor wandte sich feierlich an mich.
„Gut. Kein Problem. Er hat es so gewollt. Ausgezeichnet! Nun, lieber Tamás, dann werden wir ...“
Sein Gesicht verzerrte sich, er wandte sich wieder der Eckkuppel zu.
„Kornél!“, rief er aus aller Kraft. „Kornél!“
Auch dieser Ruf verstummte. Er wandte sich wieder an mich.
„Das ist absolut kein Problem“, sagte er heiser. „Wir beide werden das schon lösen.“
Er führte nicht weiter aus, was wir beide lösen würden, machte sich jedoch sofort daran: Er lief los, in Richtung des Gebäudes, ohne sich nach mir umzusehen. An der Ecke des Palastes bog er rechts ein und verschwand. Das war die Gelegenheit, mich still von ihm zu trennen und geradeaus zur Bushaltestelle zu gehen. Und diese intensiven neun Stunden meines Lebens, in denen ich einen Freund gehabt hatte, abzuschließen. Zum Glück ging ich ihm jedoch hinterher. Ich bog auch rechts ein, gab mir aber zumindest dadurch eine kleine Chance, dass ich nicht rannte, sondern ihm nur mit würdevollen Schritten folgte. Ich vertraute darauf, dass er bereits spurlos verschwunden sein würde, wenn ich an der der Donau zugewandten Seite des Gebäudes ankam. Dass er auf der anderen Seite des Burgberges in die Dunkelheit hinunterlaufen und am nächsten Montag mit einem flüchtigen „Hallo“ an mir vorbeieilen würde. Wenn ich am Montag überhaupt noch in der Bibliothek sein würde.
Ich holte ihn beim Reiterdenkmal Eugens von Savoyen ein. Er stand da und sah auf die Stadt hinunter. Mit einem schnellen Seitenblick vergewisserte er sich, dass ich ihn eingeholt hatte und sehen würde, was er machte. Dann drohte er Budapest mit einer unnachahmbar verkrampften Geste. Der Stadt machte das offenbar nicht im Geringsten etwas aus. Sie lag dunkel da, im Schnittpunkt ihrer geografischen Koordinaten.
12.
HIER RUHT JOHN TORRINGTON
Ich weiß nicht, wie viele Menschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa einen Schwur auf Leben und Tod leisteten. Und wie viele von ihnen ihn ernst meinten. Bestimmt nicht wenige, obwohl ich den Verdacht hege, dass es in der ersten Hälfte des Jahrhunderts mehr gewesen waren. Auf jeden Fall gehörte ich zu ihnen. Kein Wunder also, dass ich, nachdem ich ihn ausgesprochen hatte, vor Schreck alles daran setzte, ihn zu vergessen. Die Familie kam mir darin weitestgehend zur Hilfe: Mit Ausnahme von einem Mal erwähnte ihn nie jemand. Auch Erika nicht, die zwar nicht dabei gewesen war, als ich den Schwur abgelegt hatte, der Gerda jedoch davon erzählt und sie ermahnt hatte, die Sache mir gegenüber nie anzusprechen. Trotzdem wusste ich natürlich, dass sie es ihr erzählt hatte.
Jahre vergingen, und ich glaubte allmählich, dass man mir den Schwur nicht unter die Nase reiben, mich nicht in eine Zwangslage bringen würde. So konnte ich bereits ruhiger darüber nachdenken. Wie ich Rache nehmen sollte und an wem. Ich konnte jedoch noch so ruhig darüber nachdenken, es war nicht möglich, den Schwur anders zu interpretieren, als was er bedeutete: Früher oder später musste ich mich an der ungarischen und der internationalen kommunistischen Bewegung, an den im Warschauer Pakt zusammengepferchten sozialistischen Bruderstaaten und an der Sowjetunion selbst dafür rächen, dass sie meine Familie ruiniert hatten. Diese Aufgabe zu lösen, erschien mir nicht einfach, ja, eigentlich erschien es mir unmöglich, und ich war der Familie sehr dankbar, dass sie einvernehmlich darauf verzichteten, mich dazu zu drängen.
Die Einzige, die den Schwur mir gegenüber einmal, Jahre später erwähnte, war gerade Gerda. Einige Wochen vor dem Abend auf dem Löwenhof. Auch sie verwendete nicht das Wort „Schwur“, aus Taktgefühl sprach sie von einem Versprechen. Sie sagte, ich hätte der Familie einmal leichtsinnig versprochen, dass wenigstens ich es zu etwas bringen würde. Und nun solle ich doch endlich etwas in dieser Richtung unternehmen. Ich verstand, dass sie sich statt der Rache schon mit einer erfolgreichen Aufnahmeprüfung an einer Universität zufriedengegeben hätte. Ich, ehrlich gesagt, ebenfalls.
Auf meine etwas umständliche Art tat ich
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