Liebe Unbekannte (German Edition)
eine Runde. Wir bekamen sie auch. Gábor trank unverschämt viel. Die
Kleinen
waren gute Jungen und beobachteten ihn grinsend. Mit Ausnahme von Ervin Gál natürlich, der sofort aus dem Wagen sprang, als er sah, was vor sich ging.
„Sogar darauf lassen Sie sich ein. Hören Sie zu, Gábor. Wir wissen genau, wen Sie mit Informationen beliefern. Und wähnen Sie sich ja nicht in Sicherheit.“
Ervin Gál suchte nach Worten. Da er ein Spitzel war, störte es sein Gerechtigkeitsgefühl, andere dieser Tätigkeit zu beschuldigen.
„Ganz ruhig, Ervin.“
„Nicht, dass Sie glauben, ich wüsste nicht, worauf die Sache hinausläuft.“
„Wir wussten schon immer, dass du ein Genie bist, Ervin“, sagte Ócsai und zwinkerte Gábor zu, „aber dass du weißt, worauf die Sache hinausläuft, hätten wir im Traum nicht gedacht. Stimmt ’s, Jungs?“
Damit waren die anderen
Kleinen
gemeint, nicht wir.
„Also es gibt da was, das auf irgendetwas hinausläuft, das ist schon mal sicher“, sagte Dervis. „Aber was und worauf ...“
„Und vor allem wozu“, sagte Szabó, der ein trübsinniger Mensch war.
Ervin Gál winkte sie wütend ab.
„Nehmen Sie sich gut in Acht“, sagte er zu Gábor, setzte sich wieder in den Wagen, knallte die Tür zu und kurbelte dann die Fensterscheibe hinunter. „Und winken Sie Ihrem eigenen Chef. Solange er nicht in Rente geht. Dann wird nämlich das gesamte nichtsnutzige Gesindel hinausfliegen. Kommt endlich.“
Er kurbelte die Fensterscheibe wieder hinauf.
„Ich habe nicht gewunken“, sagte Gábor.
„Er hat einen schlechten Tag“, sagte Ócsai.
„Na, noch einen Schluck“, bat uns Dervis die Flasche an. „Lasst uns dann wirklich abhauen.“
Gábor trank. Ich tat auch so.
„Ich soll ein Spion sein?“, fragte er. „Und was ist der dann?“
Ócsai wurde ernst.
„Klappe!“, fuhr er Gábor an. „Wir sind offen für Späße, aber jetzt ist genug. Wir haben das jetzt nicht gehört, Gábor. Ich hoffe, er auch nicht.“ Er deutete mit einem Blick zu Ervin Gál. „Und du vergisst, was du gesagt hast, aber ganz schnell. Und du auch“, wandte er sich an mich. „Habt ihr mich verstanden?“
„Ja“, sagte Gábor, der Ervin Gál nichts Böses wollte und nur aus Wut so reagiert hatte. „Aber ein Spion bin ich trotzdem nicht.“
„Das ist nicht der Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren“, sagte Ócsai und wandte sich an mich. „Mein lieber Herr, Sie habe ich auch etwas gefragt.“
„Ich vergesse es“, antwortete ich, dabei kann man so einen Augenblick nicht vergessen, zumindest nicht, wenn man nur selten ähnliche erlebt.
Sie setzten sich in den Wagen und fuhren los.
Der Wind pfiff, wir standen auf dem Löwenhof und betrachteten das Schloss. Wir froren. In der Eckkuppel brannte Licht. Gábor fühlte sich an allen Fronten geschlagen.
„Dieses fette Schwein!“
Eine weitere halbe Minute verging.
„Hat er uns jetzt gefeuert?“
„Das musst du wissen. Du bist der Bibliotheksfachmann“, sagte ich vorwurfsvoll.
„
Du Esel, streng dich an
“, sagte die Stimme in meinem Kopf, was meine Laune nicht hob.
„Feuern kann er zum Glück nur dich“, sagte Gábor zu meiner Beruhigung. „Denn du bist kein Institutsmitarbeiter. Er ist nur dein Vorgesetzter. Dich kann er also fertigmachen, wie er will. Aber sei beruhigt, sollte er dich feuern, werden wir uns etwas einfallen lassen.“
Ich kannte ihn zumindest schon gut genug, um zu wissen, dass er mir nur einen Schreck einjagen wollte. Ich bekam aber keinen Schreck. Denn den Schreck hatte ich schon am Nachmittag bekommen. Würde mich Ervin Gál doch nur feuern. Am frühen Nachmittag hatte ich im Zeitschriftenarchiv einen Toten gefunden, wobei eigentlich gar nicht ich ihn gefunden, sondern Gábor ihn mir gezeigt hatte, und allen Anzeichen nach war er seitdem noch nicht dahintergekommen, dass ich etwas damit zu tun haben könnte. Bis jetzt wusste nur ich es. Das war aber auch gut so. Ich habe das Gesicht des Toten gesehen und hätte flüchten müssen, egal wohin, und zwar sofort, sonst würde ich so enden wie er.
Aber Gábor war schon wieder nicht mehr mit mir beschäftigt. Da er vorhin die erste Person Plural verwendet und damit seinen Freund mitgemeint hatte (
werden wir uns etwas einfallen lassen
), überkam ihn erneut das Gefühl, sein Freund sei nicht mehr sein Freund. Sein Gesicht verfinsterte sich. Seine Wut wandte sich wieder gegen die Eckkuppel.
„Das Licht brennt. Er lässt es extra brennen.“
Er formte einen
Weitere Kostenlose Bücher