Liebe Unbekannte (German Edition)
(Und weil er plötzlich sehr in die Höhe geschossen war. Und weil das Stadtbad geschlossen wurde, da der aus Tonerdezement erbaute Sprungturm sich in Wohlgefallen aufgelöst hatte.) Als Folge des Sprunges (und der Fürsprache des Polizeioberst Árpád Kender, obwohl Gábor nicht darum gebeten hatte!) wurde er Anfang November problemlos aus dem Wehrdienst entlassen. Und am 15. trat er die Arbeit in der Bibliothek an. Das war vor drei Wochen.
In die Bibliothek war er durch Kornél gekommen, auf verschlungenen Wegen.
Kornél hatte eine Berufung, und das sah man ihm auch an. Er selbst sagte natürlich nie, er habe eine Berufung, wenn man ihn jedoch fragte, was er werden wolle, antwortete er etwa: Er werde der
Don Quijote seiner Generation
. So wie Don Quijote aus dem Mittelalter in die Neuzeit geritten war, würde er am anderen Ende der Neuzeit hinausreiten. Wie er sagte: geradewegs zurück ins Mittelalter. Denn im 21. Jahrhundert werde ein neues Mittelalter kommen. Und er, Kornél, werde in diesem neuen Mittelalter die Vernunft behüten und genauso, wie man damals auf der Schwelle zur Neuzeit Don Quijote mit seinem Wahn für einen komischen Kauz gehalten hatte, würde man ihn auch für einen halten.
Dann gestand er dem angespannt zuhörenden Gábor jedoch, dass er keine Ahnung habe, was aus ihm würde.
„Eins ist schon mal sicher: kein Lehrer“, sagte dieser anerkennend. „Dieser Abgang aus der Klasse! Mein Freund …! Allein deshalb hat es sich schon gelohnt, nicht?“
„Ja, schon“, murmelte Kornél und gab dann eine ausweichende Antwort. „Weißt du, wenn du nicht in der Lage bist, dein Leben als Spiel aufzufassen, dann kannst du alles vergessen.“
Wenn es jemanden gab, der nicht in der Lage war, sein Leben als Spiel aufzufassen, dann war Kornél es.
Es lagen nur wenige Jahre zwischen ihnen. Gábor war spät eingeschult worden und ziemlich frühreif. Er hatte sich zeitig vom Elternhaus unabhängig gemacht (die Intervention des Polizeiobersts war eine Ausnahme, die nur die Regel bestätigte und, das war nicht zu bestreiten, Gábor gelegen kam), war bereits mit fünfzehn nach Budapest ins Wohnheim gezogen und hatte die Zeit der großen Auflehnung damals schon hinter sich. In der letzten Klasse des Gymnasiums arbeitete er an den Wochenenden für einen Maurer. Er war stark, tatenfroh und konnte beinah vollständig für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Er hatte sogar eine Freundin. All dies war jedoch nichts wert, verglichen damit, dass Kornél sich gleichzeitig vor drei Frauen versteckte, weil sich alle drei (natürlich unabhängig voneinander) erdreistet hatten, Kornéls elegante Entscheidung zu kritisieren, das Studium zu schmeißen, weshalb er sich mit ihnen zerstritten hatte. Zu dieser Zeit konnte er sich (mit Ausnahme von seiner Mutter) mit jedem zerstreiten, der sich erdreistete, seine Entscheidung zu kritisieren. (Dazu muss gesagt werden, dass seine Mutter nie Kritik an seinen Entscheidungen übte. Und sein Vater mischte sich damals in nichts mehr so wirklich ein.) Das Verstecken vor den drei Frauen bestand darin, dass Kornél halbe Nächte auf einer Bank in der Wohnsiedlung von Kelenföld verbrachte, Apfelwein trank und den Hauseingang einer der Frauen beobachtete, halbwahnsinnig vor Eifersucht. Gábor half ihm mit Begeisterung: Er trank Apfelwein mit ihm und war eifersüchtig. Das war Kornéls Art, das Leben als ein großes Spiel zu betrachten.
Er litt lange wegen der unwürdigen Frau aus Kelenföld und konnte Gábor kaum davon abbringen, deren Verehrer, einer unwürdiger als der andere, zu verprügeln. Zum Glück gab es noch die anderen beiden Frauen, die Kornél das Loslösen von der Unwürdigen aus Kelenföld (natürlich unabhängig voneinander) versüßten. Obgleich immer neue Frauen in seinem Leben auftauchten, war er davon überzeugt, sich nie wieder verlieben zu können. Gábor beobachtete ihn mit Mitgefühl, versuchte, ihm zu helfen und, wenn es nötig war, verteidigte er das Ideal der Liebe gegen Kornéls Angriffe. Diese Rollenverteilung schloss Neid nicht aus, was Gábor das Leben vergällte, dennoch war er glücklich und stolz, in so einer Freundschaft eine der Hauptrollen zu spielen.
Er verhielt sich dementsprechend, womit er Kornél in den Wahnsinn trieb. An einem schönen Frühsommerabend teilte Gábor ihm zum Beispiel stolz mit, er sei doch nicht zur Aufnahmeprüfung für Mathematik und Physik gegangen, denn nur Opportunisten würden ein Diplom erlangen wollen, Kornél habe
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