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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Mitteleuropas lebendes Gewissen, hätte er diesem ins Gesicht gelacht.
    Es musste vieles zusammenkommen, bis Kornél schließlich doch noch zu diesem lebenden Gewissen wurde. Es musste Zeit vergehen. Es musste ein großes historisches Wunder geschehen, Gábor musste auftauchen. Es bedurfte vieler Ereignisse und vieler Personen. Es bedurfte der gesamten Darstellerliste, denn Kornél bildete auch keine Ausnahme, genauso wie alle anderen schleppte auch er die Darstellerliste seines Lebens mit sich herum.
    Und ebenso wie Gábor musste auch ich in seinem Leben auftauchen. Das wusste jedoch wiederum ich noch nicht. Da ich ein einfacher Mitarbeiter des Buchlagers war, der keine Freunde hatte.
    Irgendwann nahm die Zeit des Zusammenlebens ein Ende: Gábor wurde für anderthalb Jahre zum Militärdienst nach Tapolca eingezogen, wo er bald Bibliothekar wurde und seine Arbeit zur allgemeinen Zufriedenheit verrichtete.
    Aus der Kaserne schrieb er Kornél wöchentlich einen langen Brief, worauf dieser alle anderthalb bis zwei Monate zusammenfassend reagierte. Gábor hielt diese Zurückhaltung für gerechtfertigt, da es ihm selbst peinlich war, eingezogen worden zu sein, statt sich als psychisch ungeeignet zu erweisen wie Kornél. Er war nämlich ganz im Gegenteil sehr geeignet fürs Militär, was er jedoch vor Kornél (und sich selbst) streng geheim hielt. In Wirklichkeit mochte er Ordnung und Disziplin, war stark und fröhlich. Er wusste jedoch, dass Kornél ihm grollte, weil er sich hatte einziehen lassen und ihn allein zurückließ.
    Kornéls Zurückhaltung hatte jedoch einen anderen Grund. Er hatte Gábor gegenüber ein schlechtes Gewissen. Kurz nachdem dieser den Wehrdienst angetreten hatte, wurde Kornél von seiner Mutter dazu überredet, das Land zu verlassen. Er solle etwas mit sich anfangen. Das sei immer noch besser, als hier zugrunde zu gehen. Er werde schon irgendwann zurückkommen. Und Kornél zog in die Welt hinaus. Zur Beruhigung sagte er sich, er werde nicht emigrieren, sich nur ein bisschen herumtreiben. So geschah es dann auch. Er wollte per Anhalter nach Griechenland fahren, kam jedoch nur bis zu einem kleinen Café in Szeged, wo eine Frau, mit Klavierbegleitung, auf Russisch Kneipenlieder aus Odessa sang. Mit ihr fuhr Kornél zurück nach Budapest. Das war Emőke Széles. Sie hatte ihren
geschiedenen Vater
, den Pianisten, in Szeged besucht.
    So komme es, dass er nun mit Emőke Széles in der Ede-Paulay-Straße wohne, schrieb Kornél an Gábor nach Tapolca, und sie seien nur deshalb nicht glücklich, weil Emőkes geistesgestörte Mutter ständig gegen ihn intrigiere. Gábor hätte die Kaserne in Tapolca gerne gegen so ein Problem eingetauscht, das schrieb er Kornél auch, und wünschte ihm, in Zukunft ähnlich viel Glück zu haben.
    Es folgte ein stürmisches Jahr. Jedes Mal, wenn Gábor Urlaub bekam (selten), waren Kornél und Emőke Széles gerade zerstritten, meist wegen ihrer Mutter. Gábor lernte Emőke Széles nur aus Kornéls Klagen kennen. Er erfuhr über sie, dass sie eine verrückte Frau war, ein hoffnungsloser Fall. Jemand, der sich statt für die Liebe, für seine Mutter entschieden hatte. Kornél war leider zu spät in ihr Leben getreten, da hatte ihre Mutter sie bereits ruiniert, fügig gemacht, zermalmt. Zu allem Übel kam hinzu, dass Emőke Széles allen Anzeichen nach masochistisch veranlagt war. Das machte die Lage aussichtslos. Denn genau so wolle sie es haben. Darin fühle sie sich wohl. Ja, das sei ihre Leidenschaft. Der Armen sei wirklich nicht zu helfen. Ebenso wenig wie ihrer Mutter. Und es sei genauso unmöglich, mit ihr zusammenzuleben wie mit ihrer Mutter. Am meisten erschrecke ihn an Emőkes Krankheitsbild, dass sie ihm gegenüber all das bestreite. Bei solchen Gelegenheiten brüllten sie sich dann immer an, was die arme Emőke jedoch auch nicht zur Vernunft bringe. Sie sei einfach nicht in der Lage, sich von außen zu sehen! Es sei alles hoffnungslos.
    Im September dieses Jahres berichtete Kornél in einem Brief von erneuten turbulenten Ereignissen: Er und Emőke seien aus der Wohnung in der Ede-Paulay-Straße geflohen, Emőke gehe es prächtig, mehr habe sie offenbar nicht gebraucht, ein Wunder sei geschehen. Gábor werde sehen, sie seien an einen unglaublichen Ort gezogen: Sie lebten im Burgschloss von Buda! Man habe einen einmaligen Ausblick auf die Stadt, dies sei eine schicksalshafte Wendung in seinem Leben. Seine Zeit als Zeitungsverkäufer sei nun vorbei. Dieser Brief endete

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